Des Todes Liebste Beute
das nächste Opfer einer von dieser Liste ist, sind recht groß. Entweder ein Straftäter oder ein Verteidiger.«
Spinelli sträubten sich die Haare. »Jetzt sagen Sie bloß nicht, Sie würden vorschlagen, alle unter Polizeischutz zu stellen.«
»Nein, Marc. Aber erinnern Sie sich, dass Westphalen gesagt hat, der Täter könnte – direkt oder indirekt – vor kurzem ein Trauma erlebt haben? Nun, Sie haben die bisherigen Opfer befragt und nichts gefunden, was einem Trauma zum Zeitpunkt des ersten Mordes, den an Anthony Ramey, nahe kommt. Ich dachte, ich könnte damit anfangen, die Opfer all dieser Fälle anzurufen und mich zu erkundigen, wie es ihnen geht. Vielleicht hat eines davon in letzter Zeit tatsächlich etwas Traumatisches durchgemacht.«
»Wenn wir den Killer an der Strippe haben, wird er das wohl kaum zugeben«, warf Jack ein.
Kristen zog eine Braue hoch. »Das habe ich mir natürlich auch gedacht. Und ich habe auch nicht geglaubt, dass meine Idee uns den großen Durchbruch bringt. Aber vielleicht kann ich ein paar Namen von der Liste streichen. Was haben wir denn sonst? Eine DNS , einen Bewusstlosen, einen Teilfingerabdruck und eine Kugel.«
»Der Mann wird hoffentlich wieder zu sich kommen, und die Kugel können wir zurückverfolgen«, sagte Abe.
Kristen zuckte die Achseln. »Dann tut das. Dass ich mich mit alten Fällen befasse, stört euch doch nicht.«
»Tatsächlich konnte uns das etwas bringen, Abe«, sagte Mia langsam. »Im Übrigen ist Kristen ›beurlaubt‹. Wenn ich sie wäre, würde ich durchdrehen, wenn ich nichts tun könnte.«
»Das kommt auch noch dazu«, gab Kristen zu. »Sobald ich meinen Kamin fertig habe, kann ich nur noch Däumchen drehen, und das macht mich wirklich wahnsinnig. Außerdem bin ich nicht suspendiert worden – ich darf nur nicht an laufenden Fällen arbeiten. Von archivierten Fällen hat niemand gesprochen.«
Abe verstand ihr Bedürfnis, sich zu beschäftigen. Auch er hatte sich auf die Arbeit gestürzt, nachdem Debra niedergeschossen worden war. An den meisten Tagen war es das Einzige gewesen, was sein Leben zusammengehalten hatte. »Dann mach es von hier aus«, sagte er. »Ich will nicht, dass jemand die Anrufe zu dir nach Hause zurückverfolgt.«
»Da stehen aber eine Menge Namen drauf«, sagte Spinelli zweifelnd. »Sie werden Tage dafür brauchen.«
Kristen sah alle nacheinander an. »Hört zu, wir haben hier neun Tote. Neun. Ich habe nicht vor, auf irgendeine Beerdigung zu gehen und sie zu beweinen, aber sie sind trotzdem tot. Skinner hat Frau und Kinder hinterlassen. Wenigstens sie haben es verdient, dass der Fall aufgeklärt wird. Mein Leben steckt in der Warteschleife, und gestern hat jemand meine Mutter bedroht. Bis wir diesen Typen haben, habe ich alle Zeit der Welt.«
Dienstag, 24. Februar, 9.15 Uhr
Mia lehnte sich gegen die verglaste Theke und starrte Diana Givens an, die wiederum durch eine Lupe auf die Kugel starrte.
»Und?«, fragte sie. »Kennen Sie das oder nicht?«
Diana blickte verärgert auf. »Jetzt machen Sie sich mal nicht das Höschen nass.« Sie blickte blinzelnd wieder durch das Vergrößerungsglas. »Ineinander verschlungene Ms oder Ws. Ich habe so was noch nicht gesehen, aber vielleicht einer meiner Kunden.«
»Und wo finden wir Ihre Kunden?«
»Nun, ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich sie einladen wollte, aber ich hätte nicht gedacht, dass Sie so bald schon mit einer neuen, relativ unversehrten Kugel auftauchen würden.« Sie gab Mia die Kugel zurück und holte unter der Theke ein Blatt Papier hervor. »Hier. Ich gebe Ihnen die Namen. Dann können Sie mit ihnen reden, wenn Sie wollen.«
Mia lächelte Diana strahlend an. »Vielen Dank. Wir sind Ihnen was schuldig.«
Dienstag, 24. Februar, 11.30 Uhr
»Ich hasse Krankenhäuser mindestens so sehr wie Leichenschauhäuser«, brummte Abe.
Mia schaute unbeirrt auf die Fahrstuhlanzeige. »Ich weiß. Das hast du mir gestern schon erzählt, als wir hier waren.« Der Fahrstuhl kündigte sich mit einem
Pling
an, und die Türen glitten zur Seite. »Jetzt sei nicht so ein Mädchen und komm. Ich will mit ihm reden, bevor er wieder das Bewusstsein verliert.«
Die Krankenschwester in Carsons Zimmer empfing sie mit finsterer Miene. »Er kann nicht mit Ihnen reden. Sein Zustand ist dazu nicht stabil genug.«
»Er ist am Leben«, fuhr Mia sie an. »Wodurch er in einem besseren Zustand ist als die neun Leichen im Kühlhaus.«
Carson lag in seinem Bett, das Gesicht grau wie Asche.
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