Des Todes Liebste Beute
bewegen. Vier Geschwindigkeiten.«
Mia ging um die Zielscheibe herum. »Keine Hülsen, keine Kugeln, keine Fußabdrücke. Vor einer Woche hat es das letzte Mal geschneit, also ist er seitdem nicht hier gewesen.«
»Mia! Abe!« Jack stand an der Hintertür und winkte. »Kommt mal her.« Er hielt zwei Bilderrahmen in der Hand. »Das hier lag in einer Kiste neben der Hütte.«
Das eine Bild war ein Familienporträt – Vater, Mutter, zwei Söhne. »Nach der Kleidung würde ich auf Anfang der Dreißiger tippen«, sagte Mia. »Könnten die Worths sein.«
»Wir holen die Fotos im Labor aus den Rahmen. Vielleicht steht etwas auf der Rückseite. Aber seht euch das andere Foto mal an. Das scheint der älteste Sohn in Uniform zu sein, um die zehn Jahre später. Und das Mädchen in seinem Arm?«
»Das ist eine Navy-Uniform«, sagte Abe. »Genny O’Reilly und Hank Worth, kurz bevor er in den Krieg gezogen ist?«
»Könnte sein. Aber ich finde vor allem interessant, dass es noch einen zweiten Sohn gibt. Mr. James hat ihn gar nicht erwähnt.« Mia sah sich um. »Habt ihr sonst noch was gefunden?«
Jack schüttelte den Kopf und schaltete das Licht aus. »Nein. Ich habe Seife und Dosen eingepackt – wir untersuchen sie im Labor auf Fingerabdrücke. Wir können noch ein paar Scheinwerfer aufstellen und hier nach mehr Abdrücken suchen, aber ich denke nicht, dass wir allzu viel damit gewinnen.«
Mia schürzte nachdenklich die Lippen. »Trotzdem war es nicht umsonst. Falls das Genny ist, heißt das.«
Jack tütete die Bilderrahmen ein. »Dann drücken wir am besten mal die Daumen. Etwas anderes haben wir nämlich nicht.«
»Detective Reagan?« Ein Uniformierter schaute durch die Vordertür herein. »Da ist ein Anruf über Funk für Sie. Spinelli. Sie sollen ihn zurückrufen, sobald Sie hier fertig sind. Es ist wichtig.«
Kristen.
Abes Eingeweide schnürten sich zusammen, und er zwang sich, ruhig zu atmen. »Hat er wichtig oder dringend gesagt?«
»Wichtig.«
Dann war Kristen nichts geschehen, dachte er. Spinelli hätte es sonst ›dringend‹ genannt. Abe warf Mia einen Blick zu. »Sind wir durch?«
Sie nickte. »Ja. Rufen wir Spinelli an.«
Mittwoch, 25. Februar, 18.15 Uhr
Er war zu spät eingetroffen und hatte den Richter verpasst. Hillman war unbehelligt ins Hotel gegangen. Aber im Grunde genommen machte es nichts aus. Laut Skinners Notizen blieb Hillman niemals über Nacht.
Er hatte die Wartezeit genutzt und war im Kopf noch einmal die Mitschriften des Verfahrens durchgegangen, das Leah zur Gerechtigkeit hätte verhelfen sollen. Aber es hatte keine Gerechtigkeit gegeben. Die Geschworenen hatten ihre Arbeit getan und den Angeklagten für schuldig erklärt. Aber mit einem überraschenden Schachzug hatte Hillman das Urteil zurückgewiesen und auf einen Formfehler gepocht. Das Ungeheuer, das Leah vergewaltigt hatte, konnte als freier Mann das Gericht verlassen.
Er hatte Leah damals noch nicht gekannt. Er hatte sie erst nach dem Prozess kennen gelernt, als von der Frau, die sie einmal gewesen war, nicht mehr viel übrig geblieben war. Er hatte die Mitschriften gelesen, und mit jeder Seite, die er umblätterte, war sein Zorn gewachsen. Und die Tatsache, dass er nichts tun konnte, hatte ihn umso wütender gemacht.
Doch jetzt war er nicht mehr hilflos. Nun würde Hillman derjenige sein, der Hilflosigkeit kennen lernte.
Er wartete geduldig, bis Hillman aus dem Hotel kam. Seine Schritte waren eindeutig beschwingt. Der Richter blieb neben einem alten Dodge stehen. Ein jämmerlicher Versuch der Tarnung, der niemanden in die Irre führen konnte.
Und mich am wenigsten.
Er startete den Lieferwagen und fuhr auf den Parkplatz neben Hillman. Sein Kopf tat weh, aber er verdrängte den Schmerz und konzentrierte sich auf seine Beute.
Er sah den Schrecken in Hillmans Augen, als er aus dem Lieferwagen stieg. Der Revolver in seiner Hand war gut zu sehen, der Schalldämpfer funkelte im Licht der Laternen. »Halten Sie die Hände so, dass ich sie sehen kann«, sagte er ruhig. Hillman wollte sich in die Tasche greifen, und er stieß dem Richter den Lauf des Revolvers härter in die Eingeweide, als es nötig gewesen wäre. »Ich sagte, so, dass ich sie sehen kann. Wenn ich jetzt abdrücke, sterben Sie. Direkt hier, auf dem Parkplatz, neben einem Wagen, in dem Sie nicht mal als Leiche gesehen werden wollten, wenn es Ihnen nicht so unglaublich wichtig wäre, diese Affäre vor Ihrer Frau zu verbergen.«
Hillman riss die Augen auf.
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