Des Todes Liebste Beute
denn sonst damit tun sollen?«
»Sie wegwerfen«, sagte Mia. »Er hätte sie beseitigen können.«
Abe begann, unruhig auf und ab zu laufen. »Wenn er sie weggeworfen hätte, hätte sie jemand finden können. Ein Hund hätte sie aus dem Müll zerren können. Wenn er sie verbrannt hätte, hätten wir Asche finden können, wenn wir nah genug an ihn herangekommen wären.« Er warf Mia ein schiefes Lächeln zu. »Was ist praktischer, als die Sachen gleich bei der Polizei zu entsorgen?«
Mia erwiderte das Lächeln grimmig. »Er ist clever. Warum die Grabsteine?«
»Das wiederum finde ich wirklich faszinierend«, sagte Westphalen. »Einerseits hat es enorme Symbolkraft. Und man beachte die Mühe, die er sich damit gemacht hat. Es handelt sich um echten Marmor?«
Abe stellte seine Wanderung ein und setzte sich auf den Stuhl neben Mia. »Das Labor wird es uns letztendlich sagen können. Wir haben bereits herumtelefoniert und mit Steinmetzen gesprochen, die Grabsteine fertigen. Es sind nicht so viele.«
»Wir versuchen, jemanden zu finden, der sich an die Arbeit erinnert«, erklärte Mia. »Also – was hat es mit der Symbolkraft auf sich?«
»Der Tag des Verbrechens ist das zweite Datum«, begann Westphalen, »als ob sie an diesem Tag gestorben sind. Für ihn endete das Leben der Opfer an dem Tag, an dem sie vergewaltigt wurden, auch wenn sie tatsächlich überlebten. Er sagt, er habe die Schuldigen zu lange frei herumlaufen sehen. Das kann aus der Ferne bedeuten – durch die Medien zum Beispiel –, aber es kann auch sein, dass er irgendwo lebt, wo er tagtäglich mit dem Tod anderer Menschen zu tun hat.« Er zuckte die Achseln. »Die dritte Möglichkeit ist, dass er es aus nächster Nähe mitbekommt – weil er beispielsweise tatsächlich ein Polizist ist. Jedenfalls hat er selbst ein Trauma zu verarbeiten, und die Ursache ist noch nicht lange her. Ich würde nach jemandem suchen, der vor kurzem einen schrecklichen Verlust hat hinnehmen müssen.«
»Ein Opfer eines Verbrechens«, überlegte Mia.
»Kann sein, vielleicht aber auch nicht.« Westphalen sah nachdenklich aus. »Sein Zorn bricht nur sporadisch hervor. Der Täter zerschlägt Kings Gesicht, schießt zwei anderen Sexualtätern in die Weichteile. Es kommt mir vor, als würde er sie zunächst ganz leidenschaftslos stellen, sich dann aber plötzlich nicht mehr zügeln können. Auch die arrangierte Szenerie, in denen Sie die Leichen gefunden haben, die Briefe und die Kisten mit den Kleidungsstücken und den Fotos weisen auf einen kalkulierenden Verstand hin. Ich bezweifle, dass Sie an den Fundorten irgendetwas Brauchbares finden werden. Zunächst jedenfalls nicht. Später könnte es sein, dass er unachtsam wird, aber das kann noch lange dauern.«
»Na, wunderbar«, murmelte Abe.
»Tut mir Leid, Detective. Rücksichtsvoll bin ich nur bei Patienten. Wie auch immer, ich denke, dass er zwar kürzlich einen Verlust erlitten hat, dass aber das Verbrechen, das diesem Verlust zugrunde liegt, schon vor längerer Zeit stattgefunden hat. Es dauert lange, eine solche Wut aufzubauen.«
»Haben Sie eine Vermutung, wie alt der Mann sein könnte?«, fragte Mia, und Westphalen zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung. Er schreibt wie ein älterer Gelehrter, aber er muss körperlich recht fit sein, wenn er die Leichen bewegt. Ich würde also sagen, eher jünger als älter.«
»Und warum hat er sich Kristen ausgesucht?«, fragte Mia.
Westphalens Miene wurde grimmig. »Auch dazu kann ich nicht viel sagen. Vielleicht nur, weil sie ein hübsches Gesicht hat, das die Reporter gerne filmen. Andererseits ist unser Mann anscheinend ein obsessiver Charakter. Wird Kristen zu ihrem Schutz überwacht?«
Mia bedachte Abe mit einem langen Blick. »Glauben Sie, sie braucht es?«
»Vielleicht. Wenn die anderen Staatsanwälte auch kleine Geschenke bekommen, würde ich sagen, nein.«
»Aber Sie glauben nicht, dass das geschehen wird«, stellte Abe fest.
Westphalens Miene zeigte Besorgnis. »Nein.«
»Na, wunderbar«, murmelte Abe erneut.
Donnerstag, 19. Februar, 13.30 Uhr
D as nächste Mal suche ich das Essen aus«, brummelte Mia, während sie, immer zwei Stufen nehmend, die Treppe zu ihrem Büro hinauflief.
Abe folgte ihr. »Aber es
wa
r gut. Das beste indische Curry, das ich seit langem gegessen habe.«
Mia wandte sich stirnrunzelnd zu ihm um. »Aber fleischlos!«
Ray hätte nie
– Sie unterbrach sich mitten im Gedanken. Ray war nicht mehr da. Sie hatte jetzt einen neuen
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