Des Todes Liebste Beute
Partner. Einen neuen Partner, dessen Akte zu lesen sie sich am Abend zuvor vor dem Zubettgehen endlich die Zeit genommen hatte.
»Das war etwas zu essen, Mitchell, keine Krankheit. Was ist denn das?«
Mia nahm den dicken Stapel Zettel von ihrem Tisch. Abe hielt einen identischen in seiner Hand. »Kristens neue Liste. Sie hält ihre Versprechen.«
Sie blätterte durch die Seiten, verharrte bei einer, die mit einem neongelben Post-it-Zettel markiert war, und lachte leise. Oben auf dem Blatt stand Kristens eigener Name, fett und in Großbuchstaben, gefolgt von den Namen der Sekretärin, dreier anderer Anwälte und dem ihres Chefs John Alden in normalen Druckbuchstaben.
»Es wird Stunden dauern, die Listen durchzugehen«, sagte Abe, während er durch den Stapel blätterte. Als er plötzlich rot wurde, wusste Mia, dass auch er den neongelben Zettel entdeckt hatte. »Ich wollte sie nicht beleidigen. Ich war nur überrascht.«
»Ich denke, das weiß sie.« Mia schaute auf und sah ein unbekanntes Gesicht durch das Großraumbüro kommen. Unbekannt in dem Sinne, dass sie es noch nie gesehen hatte, aber die Ähnlichkeit mit Abe war zu groß, als dass es sich um einen Fremden handeln konnte. »Sieht aus, als ob du Besuch kriegst.«
Abe schaute auf, und ein Lächeln erhellte sein Gesicht. Mia sog unwillkürlich die Luft ein. Der lächelnde Abe Reagan bot einen Anblick, der sie beinahe all ihre Prinzipien vergessen ließ. Sie war strikt gegen ein Techtelmechtel mit einem Kollegen, aber bei Reagan würde sie glatt eine Ausnahme machen. Dummerweise hatte sie bemerkt, wie seine Augen jedes Mal zu leuchten begannen, wenn er Kristen Mayhew ansah. Tja, da hatte der Bursche ein gutes Stück Arbeit vor sich. Kristen Mayhew war eine harte Nuss.
»Sean«, sagte Abe. Die beiden Männer umarmten sich linkisch, und Abe bedachte Mia mit einem typischen »Versteh-das-jetzt-bloß-nicht-falsch«-Grinsen. »Mein Bruder.«
»Darauf wäre ich auch von alleine gekommen«, erwiderte Mia trocken. Abes Bruder war ebenso dunkelhaarig und attraktiv, trug aber unglücklicherweise einen Ehering am Finger.
»Ich war gerade in der Gegend«, sagte Sean.
Abe schnaubte. »Seit wann hast du in dieser Gegend zu tun?« Er warf Mia einen kurzen Blick zu. »Er ist Börsenmakler.«
»Seit Mom mir befohlen hat, nach dir zu sehen. Sie will wissen, ob du hier auch gut behandelt wirst. Dad hat ihr nicht erlaubt, selbst zu kommen.«
Abes Lippen zuckten. »Das kann ich mir vorstellen. Es tut gut, dich zu sehen. Wie geht’s Ruth?«
»Seit das Baby nachts durchschläft, besser.«
Ein Schatten huschte über Abes Gesicht, verschwand aber rasch wieder. Das Lächeln, das an seine Stelle trat, war angestrengt. »Schön.«
Seans Lächeln verblasste. »Abe … wegen der Taufe am übernächsten Samstag.«
Wieder der flüchtige Schatten. »Ich bin da. Versprochen.«
»Ich weiß. Es ist bloß so, dass … Ruth fühlt sich grauenvoll, aber ihre Eltern haben Jim und Sharon eingeladen.«
Das angestrengte Lächeln verschwand, und Abe presste die Kiefer aufeinander. Mia war klar, dass sie nicht hätte zuhören sollen, aber die beiden hätten ja schließlich woanders hingehen können, wenn sie für sich bleiben wollten. Jim und Sharon waren keine Namen, die in Abes Akte auftauchten, aber sie hatten einen bedeutungsvollen Nachhall.
»Sag Ruth, es ist schon okay«, sagte Abe schließlich. »Ich komme trotzdem, und von meiner Seite wird es keinen Stress geben. Die Kirche ist bestimmt groß genug für uns drei.«
Sean seufzte. »Tut mir Leid, Abe.«
»Schon gut.« Abe zwang sich zu einem Grinsen. »Wirklich.«
»Außerdem macht Mom für Sonntag einen Schinken. Sie meint, das soll ich dir unbedingt sagen.«
»Ich ruf sie heute Abend an und sag ihr, dass ich komme.« Wieder entstand eine kurze Pause, und Seans Miene spannte sich an. »Ruth und ich waren letztes Wochenende in Willowdale. Die Rosen sind wunderschön.«
Abes Kehlkopf begann zu arbeiten, und diesmal verstand Mia. Willowdale war ein Friedhof, und laut Akte war Abe seit kurzer Zeit Witwer. »Es war das erste Mal, dass ich es gewagt habe hinzugehen.«
Wie musste es sich wohl anfühlen, dachte Mia, so verdeckt zu arbeiten, dass man es nicht einmal wagte, das Grab der eigenen Frau zu besuchen? Sie verspürte Mitgefühl, aber auch Respekt. Abe Reagan hatte eine Menge aufgegeben, um ein paar äußerst gefährliche Drogendealer zur Strecke zu bringen.
Sean packte Abes Arm. »Ich weiß. Wir sehen uns am
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