Des Todes Liebste Beute
Wochenende.«
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte Abe gedämpft. Als sein Bruder fort war, ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und nahm Kristens Liste zur Hand.
Mia musterte ihn unverhohlen. »Er ist also das gut verdienende schwarze Schaf der Familie?«, fragte sie, was bei Abe ein leises, aber vergnügtes Lachen auslöste.
»Das muss man sich mal vorstellen. Eine komplette Familie von Cops, und er spielt den ganzen Tag mit großen Scheinen.«
»Uh-oh. Blaue Gene?«
»Kann man so sagen. Mein Vater ist ein Cop. Pensioniert. Ein ganzes Leben mit Dienstmarke. Mein Großvater auch. Und noch einer meiner Brüder.« Er zog eine Braue hoch. »Aidan ist übrigens noch Single.«
Mia lächelte. »Ich steh nicht auf Cops.«
»Kluge Frau.«
Nun war sie an der Reihe, die Brauen hochzuziehen. »Klug genug, um mir auszurechnen, dass Ruth Seans Frau ist und Debra deine war. Aber wer sind Jim und Sharon?«
Abes Augen weiteten sich erstaunt, aber vermutlich weniger wegen ihrer Fähigkeit, die richtigen Schlüsse zu ziehen, denn über ihre Unverblümtheit. Dennoch antwortete er. »Debras Eltern. Wir kommen nicht besonders gut miteinander aus. Bist du immer so neugierig?«
Sie entschied sich für den direkten Weg. »Du bist jetzt mein Partner. Seit wann ist Debra tot?«
»Hängt davon ab, wie man tot definiert.« Als sie die Stirn runzelte, seufzte er. »Debra erlitt vor sechs Jahren eine schwere Verletzung. Sie war hirntot, als man sie in die Ambulanz schob. Sie ist nie wieder aufgewacht.«
Das hatte nicht in der Akte gestanden. »Was war das für eine Verletzung?«
Abes Miene war ausdruckslos. »Sie wurde angeschossen. Die Kugel war für jemand anderen gedacht.«
»Und für wen?« Als ob es nicht förmlich auf seiner Stirn geschrieben stand. Armer Kerl.
»Für mich. Es war irgendein Dreckskerl, noch ein halbes Kind, das sich an mir rächen wollte, weil ich seinen Bruder in den Knast gebracht habe.« Er schluckte ungeduldig. »Dummerweise war dieser Dreckskerl ein lausiger Schütze.«
Sie spürte eine Woge von Mitgefühl. »Und wann ist sie gestorben? Komplett, meine ich?«
»Komplett? Vor einem Jahr.«
»Das tut mir Leid.«
Abe nickte steif. »Danke.«
»Wie lange hat der Bursche eingesessen?«
Er biss die Zähne zusammen und blickte zur Seite. »Sechs verdammte Monate.«
Mia seufzte. »Der Typ, der Ray erwischt hat … er hatte einen cleveren Anwalt. Bei guter Führung ist er in spätestens zwei Jahren wieder unterwegs.«
Abe hob den Blick. »Dann sollten wir in zwei Jahren wohl auf ihn warten, Mitchell.«
Ray hätte dich gemocht, Abe Reagan,
dachte sie.
Trotz deiner Tendenz, den Cowboy zu spielen und alberne Risiken einzugehen.
Aber nun verstand sie, warum er es tat. Tiefer Kummer brachte die Menschen manchmal dazu, mit dem eigenen Leben zu spielen. »Und – hast du vor, hier auch so dämliche Stunts zu bringen wie beim Drogendezernat?«
Sein Mund verzog sich zu einem kaum merklichen Lächeln. »Nein.«
»Dann ist ja gut.«
Donnerstag, 19. Februar, 14.30 Uhr
Von seinem Lieferwagen aus beobachtete er, wie die ältere Frau in der Kluft einer Hausangestellten die Tür öffnete und das Päckchen nahm, das er nach dem Klingeln auf der Schwelle abgestellt hatte.
Mit einem zufriedenen Lächeln startete er den Motor. Er bog um die Ecke und fuhr in eine stille Gasse. Dort hielt er an, sprang heraus, zog die Beschriftung ab, die mit Magneten über der ursprünglichen Kennzeichnung lag, und tat dasselbe auf der anderen Wagenseite. Dann rollte er die Schilder zusammen und verstaute sie auf der Ladefläche, bevor er wieder einstieg.
Er musste zur Arbeit zurück. Zumindest zu dem Job, den er am Tag ausübte. Die wahre Arbeit würde beginnen, wenn die Sonne unterging.
Donnerstag, 19. Februar, 15.30 Uhr
Kristen saß in ihrem Auto und fürchtete sich. Mitchell und Reagan würden bald da sein, und dann musste sie sich erneut dem anklagenden Blick von Sylvia Whitman stellen.
Sie konnte sich noch gut an Rameys Verhandlung erinnern. Es war ein kalter Tag gewesen, ähnlich wie heute. Die drei Frauen in der konservativen Kleidung, die sie auch tagtäglich zur Arbeit trugen, wirkten erstarrt, wie versteinert. Ihre Männer, Freunde, Partner, gaben sich kaum Mühe, ihren Hass zu verbergen, als Ramey neben seinem Verteidiger Platz nahm. Dann wurde jede der Frauen in den Zeugenstand gerufen und musste ihre Geschichte erzählen. Kristen erinnerte sich nur allzu gut an die fest verschränkten Hände, die gesenkten
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