Des widerspanstigen Zaehmung
beobachtete Grayson die beiden und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie sich nicht ausschließlich auf Nigel bezogen. Man konnte seinem Cousin einige Fehler vorwerfen, vor allem Dummheit, doch Nigel wurde nie der Ruf eines Frauenhelden nachgesagt.
Das machte es für Grayson noch rätselhafter, dass dieser Trottel eine Schönheit wie Lady Jane einfach am Altar hatte stehen lassen. Aber vielleicht hatte sich der Narr auch von ihrer eleganten Würde abschrecken lassen. Nigel war letzten Endes sogar zuzutrauen, dass er mit einem Mann durchgebrannt war. Das wäre keineswegs so absurd, wie es sich anhören mochte. Immerhin tat Grayson ja auch etwas völlig Absurdes, indem er versuchte, etwas zu bereinigen, was er nicht zu verantworten hatte.
Er sah wieder zum Earl, der sich in einen Sessel hatte fallen lassen und auf dessen Schoß sich prompt ein übergewichtiger Spaniel niederließ. „Ich würde gern mit Ihrer Tochter reden, Belshire. Unter vier Augen, wenn Sie gestatten. Jemand muss im Namen der Boscastles eine Entschuldigung aussprechen."
Grayson beabsichtigte nicht, Belshires Erlaubnis auch für das einzuholen, was er darüber hinaus plante - jedenfalls so lange nicht, wie die sitzengelassene Braut noch nicht eingeweiht war. Wenn Jane ablehnte, konnte er sich immerhin sagen, dass er es versucht hatte. Es war nicht nötig, ihre Eltern jetzt schon einzuweihen. Außerdem machten weder ihre Mutter noch ihr Vater den Eindruck, als seien sie momentan fähig, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Immerhin hatte das unerwartete Desaster an diesem Morgen wie ein vernichtender Schlag auf sie gewirkt.
Die beiden jungen Frauen erhoben sich bei seinen Worten prompt vom Sofa, wie um zu demonstrieren, dass sie hinter ihrer Schwester standen. Grayson betrachtete sie. Eine hatte mahagonifarbenes, mit Blond durchsetztes Haar, die andere war eine bezaubernde Brünette. Den Frauen in dieser Familie war das gute Aussehen gemeinsam - was auch für ihr recht beunruhigendes Selbstvertrauen galt.
„Was wollen Sie denn von Jane?", fragte die dunkelhaarige Schwester.
„Angesichts dessen, was Ihr Cousin ihr heute antat", fügte die andere an, „ist sie kaum in der Verfassung, Besucher zu empfangen."
„Das kann ich gut verstehen", erwiderte er mit sanfter Stimme.
„Ich glaube nicht, dass sie Sie sehen möchte", legte die Brünette nach.
Grayson zuckte mit den Schultern. Ein Gefühl sagte ihm, dass sie sich irrte. „Ein Versuch kann nicht schaden."
„Sie haben für Ihren Besuch einen schlechten Zeitpunkt gewählt", ließ Lord Belshire gereizt verlauten. „Vielleicht können Sie sich ja an einem anderen Tag bei ihr entschuldigen."
„Wenn man vom Pferd gefallen ist", gab Grayson vorsichtig zurück, „dann ist es am besten, wenn man gleich wieder aufsitzt."
Lady Belshire knallte ihr Sherryglas auf den Beistelltisch und musterte ihn interessiert. „Was sollen wir unter, wieder aufsitzen' verstehen, Sedgecroft?"
Grayson zögerte, während er sich eine Antwort zurechtlegte, die nicht falsch ausgelegt werden konnte. „Den größten Fehler, den Ihre Tochter jetzt begehen kann, ist der, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen. Sollte sich Nigel nirgends auffinden lassen, wird sie sich nach einem anderen Ehemann umsehen wollen." Vorzugsweise einen, ergänzte er im Geist, der über genug Verstand verfügt, um das zu schätzen, was sein Cousin unverständlicherweise hatte links liegen lassen.
„Wollen Sie sich anbieten, meine Schwester zu heiraten?", fragte die größere der beiden jungen Frauen in einem Ton, der nach einer Mischung aus Hoffnung und Entsetzen klang.
„Nein", sagte er rasch, über den Gedanken selbst entsetzt. „Das will ich nicht. Es ist lediglich meine Absicht, sie so bald wie möglich in die Gesellschaft zurückkehren zu lassen. Je länger sie wartet, umso problematischer wird sich diese Rückkehr gestalten."
„Da hat er Recht, Howard", meinte Lady Belshire leise. „Wenn Jane sich auf Dauer zurückzieht, wird sie bald als alte Jungfer gelten und schließlich ganz aufhören zu existieren. Außerdem ist Sedgecroft in der Gesellschaft gut angesehen."
Der Earl legte ein in Essig getränktes Tuch auf seine Stirn und schloss die Augen. „Ach, was soll's denn, Sedgecroft! Tun Sie, was Sie können, um ihr zu helfen. Jane hat seit Monaten kein freundliches Wort mehr mit mir gewechselt. Immer wieder sprach sie von ihren Zweifeln, was die Ehe mit Nigel anging, aber habe ich etwa auf sie gehört? Ich
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