Desiderio - Wenn Engel fallen (Gay Gothic Stories) (German Edition)
eines der Räder brach? Er mochte gar nicht daran denken.
Corbinian ahnte nicht, dass sein Verfolger ihn in eine ganz bestimmte Richtung trieb wie ein Wolf ein flüchtendes Reh.
Nach einer Weile wurden die Pferde langsamer und der Boden gab unter den panischen Hufen ein klapperndes Geräusch wieder. Sie mussten auf einer Straße sein. Vorsichtig warf der junge Mann einen Blick hinaus. Die Kutsche überquerte gerade eine Brücke, die im weiten Bogen über eine Schlucht zu einem ihm unbekannten Schloss führte. Diese Gegend war ihm vollkommen fremd. Kahle Felswände hatten inzwischen die dunklen Wälder abgelöst. Und immer noch stand dieser riesige, bleiche Mond am Himmel. Von seinem Verfolger war weit und breit nichts mehr zu sehen.
Schon hatten die Pferde die Brücke hinter sich gelassen, und ihr Weg führte durch einen Bogengang in einen Schlosshof. Erschrocken bemerkte Corbinian, dass das Tor hinter ihnen geschlossen wurde. Mächtige Ketten zogen mit einem rasselnden Geräusch den hölzernen Verbindungssteg zur Brücke hoch. Er saß in der Falle! Und wo war sein Kutscher geblieben? Noch immer standen die Pferde schweißtriefend mit zitternden Flanken im Geschirr vor dem Gefährt, aber weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Hilflos blickte Corbinian an dem unbeleuchteten Gebäude hoch, dessen steinerne Zinnen drohende Schatten auf den nur von Fackeln beleuchteten Hof warfen. Im gleichen Augenblick öffnete sich das riesige Eingangsportal zum hell erleuchteten Foyer des Schlosses. Mächtige Kerzenleuchter warfen einen angenehm goldenen Schein auf den Besucher, der ihm den ersten Schrecken nahm und ihn willkommen zu heißen schien. Corbinian raffte sein Gepäck zusammen und trat vorsichtig näher. Kaum hatte er die Halle betreten, schloss sich das Portal hinter seinem Rücken, und erneut fühlte er sich wie ein Gefangener. Die hellen Klänge eines Spinetts klangen vom oberen Stockwerk herunter. Neugierig folgte Corbinian der Musik die Freitreppe hinauf. Vielleicht gab der Schlossherr ja eine Gesellschaft und würde ihm bei der Weiterreise weiterhelfen können.
Aber weit gefehlt! Als Corbinian durch die lang gezogenen Gänge des Anwesens irrte, begegnete ihm wiederum kein lebendes Wesen. Mittlerweile war auch die Musik wieder verstummt. Ein seltsamer Schwindel ergriff plötzlich von ihm Besitz. Er drückte die Türklinke eines der Gemächer herunter, die die Gänge säumten. Ein altmodisches Zimmer erwartete ihn. Der Kamin darin brannte bereits. Frisches Wasser befand sich in einer Kanne auf der Kommode und ein Strauß dunkelroter Rosen verbreitete einen intensiven Duft. Es schien, als wäre er erwartet worden. Das frisch bezogene Bett duftete herrlich nach Lavendel. Erschöpft ließ er sich in die weichen Kissen fallen. Dies war die erste traumlose Nacht seit vielen Jahren.
* * *
Die Finsternis verging, und ein neuer Tag erwachte in einem Bett aus grauen Wolken. Corbinian war gerade aufgestanden und schaute aus dem Fenster, das in viele kleine rautenförmige Scheiben unterteilt war. Es musste geregnet haben, denn der Schlosshof stand voller Pfützen. Von der Kutsche und den Pferden war nichts zu sehen. Und außer dem Pfeifen des nasskalten Windes war auch keinerlei Geräusch zu hören. Der junge Mann schaute sich nun bei Tageslicht in seinem Zimmer um. Über einem der Stühle aus dunklem, geschnitztem Holz lag ein goldbestickter Hausanzug aus dunkelrotem Samt. War das etwa für ihn bestimmt?
Auf seinem Nachttisch stand ein Glas mit einer roten Flüssigkeit. Er griff danach und wollte einen Schluck draus nehmen, als er zurückzuckte. Ein metallischer Geruch stieg in seine Nase. Der zähe, rote Saft darin war kaltes Blut, und es roch auch so! Entsetzt stellte er es zurück.
Das Wasser in der Kanne würde nicht lange vorhalten. Er nahm einen Schluck. Mittlerweile verspürte er auch Hunger. Corbinian zog sich an und machte sich auf die Suche nach etwas Essbarem. In einem so großen Schloss sollte es doch irgendwo auch eine Küche geben. Im Kellergeschoss fand er diese schließlich, aber die Töpfe und Pfannen darin sahen unbenutzt aus. Auch nach Lebensmitteln suchte er vergebens, nur ein paar überreife Äpfel auf dem Küchentisch stillten seinen ersten Hunger.
Er lief hinaus auf den Hof. Die Stallungen waren leer und die Zugbrücke wehrte - immer noch hochgezogen - mögliche Eindringlinge ab. Der Brunnen in der Mitte des Hofes wirkte dermaßen tief, dass der junge Mann nicht
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