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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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Sehnsüchte der Menschen lebten. Das war eher die Welt der grauen Herren aus Momo .
    Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass das Faszinierendste an di esem Ort eine zwei Meter große Eiche ohne Blätter war, begann ich, mich in Bewegung zu setzen. Ich musste mehr sehen. Das konnte nicht das Produkt von über 3000 Jahren Sehnsucht sein.
    Dass diese Welt mich neugierig machte, begriff ich erst Tage später.
    Als sich an meiner Umgebung nichts verändert hatte, außer dass ich weiter entfernt einige Berge erkennen konnte, begann ich zu rennen. Nur am Rand registrierte ich, wie die grün-gelb-graue Umgebung an mir vorbeirauschte, bemerkte, wie der Schlamm unter mir gelegentlich aufspritzte. Zu Hause in Paris würde Ariane mir einen Vortrag darüber halten, dass sie meine Hose unmöglich retten konnte.
    Noch einmal beschleunigte ich, fühlte, wie der Wind durch mein Haar wehte und meine Beine immer wärmer wurden. Das befreiende Gefühl von vorhin kehrte zurück. Je mehr ich lief, desto besser fühlte mein Körper sich an. Da war eine Leichtigkeit, die ich in den letzten Jahren vergessen hatte.
    So unspektakulär und trostlos die Welt der Sehnsüchte auch war, sie war das Beste, das meinem Körper passieren konnte.
    Nach einer Weile kam ich in die Nähe eines kleinen Waldes. Die Bä ume trugen Früchte. Gräulich-rote Äpfel und Kirschen. Vereinzelte Kastanien lagen auf dem Boden. Ich wurde langsamer, hörte Wasser rauschen – weiter entfernt musste es einen Fluss geben. Mittlerweile hatten sich die Wolken verzogen, die Sonne schien warm, doch das meiste Licht wurde von den dichten Baumkronen verschluckt.
    Es sah freundlicher aus, aber noch immer war es nichts anderes als u nberührte Natur. Als ob sich jeder eine bessere Welt wünschen würde; keine Klimakatastrophe, keine schlechte Luft; wahrscheinlich liefen mir gleich nur artgeschützte Tiere über den Weg.
    Wer’s glaubt, wird selig.
    Schließlich erreichte ich etwas, das einem Weg nahe kam. Eine unebene, von Kieselsteinen durchzogene Strecke, die wie der restliche Boden aufgeweicht vom Regen war. Doch je weiter ich diesem Weg folgte, desto klarer wurden die Farben. Noch immer waren sie unnatürlich blass, aber von Zeit zu Zeit stach ein kräftigeres Braun oder Grün hervor.
    Von diesem Farbwechsel hatte ich schon einm al geträumt.
    Als der Weg sich gabelte, hielt ich abermals inne. Ein vermoderter, mannshoher Baumstamm, auf dem jemand mehr schlecht als recht e twas eingeritzt hatte, diente als Wegweiser. Der Linke, der in eine feste Straße aus Stein und ohne Matsch überging, sollte zu einer Kirche führen. Der Trampelpfad, der die rechte Option darstellte, sollte in eine Stadt führen, deren Name unleserlich war; ich verspürte nicht das Bedürfnis, die wenigen Buchstaben zu entziffern.
    Die Kirche konnte kaum anders aussehen als in Paris und davon hatte ich in meinem Leben schon einige gesehen. Die Stadt hingegen bot mir vermutlich mehr.
    »Da würde ich nicht langgehen, Mademoiselle.«
    Ich wandte mich um.
    Zunächst sah ich nur zwei große Schatten, im nächsten Moment erkannte ich, dass diese Schatten zu zwei jungen Männer gehörten, die auf Pferden saßen; große, schlanke Tiere, das eine schokoladenbraun mit einem weißen Streifen an der Flanke, das andere pechschwarz.
    Der, der gesprochen hatte, war der Größere von ihnen. Ein robust wi rkender Südländertyp, Marke Schnulzensänger, mit langen Beinen,  dessen schwarzes Haar vor Öl nur so triefte. Sein Lächeln war Teil einer ‚Das-solltest-du-doch-wissen’- Miene, die niemand mochte. Er versuchte eine Überlegenheit auszustrahlen, die er sich nur einbildete.
    An Arroganz stand diese Sehnsucht einigen Jungs aus meiner Schule in Nichts nach.
    »Warum sollte ich das nicht tun?«
    Das Lächeln des Ölprinzen wurde eine Spur breiter: »Weil keiner dort freiwillig hingeht. Vertrau mir!« Die höflichen Floskeln hatte er also an den Nagel gehängt.
    Ehe ich etwas erwidern konnte, machte das Pferd des zweiten Mannes – das Schwarze – einen unruhigen Schritt nach vorn. Der Reiter murmelte etwas für mich Unverständliches, das das Tier jedoch zu beruhigen schien. Dann stieg er mit einer geschmeidigen Bewegung ab, sodass ich ihn besser sehen konnte:
    Er konnte nicht viel älter sein als 20. Er war kle iner als er auf den ersten Blick gewirkt hatte, circa 1,85 m, aber breiter gebaut als ich und durchaus muskulös.
    Seine Frisur erinnerte an einen Teeniestar aus den Neunzigern; kurze, honigblonde Ha are,

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