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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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gewesen sein. Ich konnte mich an nichts erinnern. Dafür entdeckte ich in einer Ecke ein handtellergroßes Spinnennetz mitsamt Nahrung für den Besitzer. Zwei Fliegen, von denen eine noch schwach mit den Flügeln schlug. Von der Spinne selbst war nichts zu sehen.
    Der Gang machte eine Biegung, dahinter begannen die Räume. Er wurde so breit, dass ein Elefant hindurchgepasst hätte – ein kleiner Elefant.
    Die Reste eines zerbrochenen Marmorbogens lagen an der Wand. War Noemie nicht früher im Garten darauf geklettert und beinahe runtergefallen, wenn unser Vater sie nicht aufgefangen hätte? Ja. Diese Geschichte hatte sie sogar auf der Beerdigung erzählt. Das hatte ich vergessen.
    An den Wänden hingen weiß e Kerzen, die gespenstisch flackerten und lange Schatten warfen. Es hatte etwas vom unterirdischen Versteck des Phantoms der Oper .
    Fehlte nur noch Gerard Butler, der begann zu singen.
    Mein Weg endete vor einer hohen Holztür, die Ähnlichkeit mit dem Eingangsportal hatte – nur wesentlich unauffälliger und ohne den Mittelaltercharme.
    Für wenige Sekunden meldete sich mein Verstand zu Wort. Ich fragte mich, ob ich nicht doch einen Fehler beging. Möglicherweise hatte ich mir doch alles eingebildet und den Verstand verloren. Oder vielleicht bedeutete, auserwählt zu sein, in Wahrheit, das Opfer eines satanistisches Rituals werden.
    Ich öffnete die Tür.
    Das, was ich sah, passte jedoch nicht zu meiner Ritualtheorie; kein Altar, keine Folterbank. Etwas anderes zog meinen Blick auf sich: Ein unbekanntes Aufblitzen. Hitze durchfuhr mich, schlängelte sich von meinem Hals abwärts, bis in meine Zehen.
    Bitte! , flehte eine neue Stimme in meinem Kopf. Eine Hand schien sich um mein Herz zu legen und zuzudrücken.
    Es war der Spiegel. Der gewaltige, imposante, goldene Spiegel auf se inen zwei Krallenfüßen und mit jeder einzelnen Verschnörkelung. Der Spiegel, dessen Bild auf mich wie eine Droge gewirkt hatte und mich nicht mehr hatte schlafen lassen.
    Nur war es dieses Mal nicht das Porträt, sondern das Original. Der ec hte Spiegel, das echte Gold.
    Das Po rtal!
    Ich muss näher heran, ich muss mehr sehen …
    Meine Füße bewegten sich. Das Spiegelbild wurde immer größer, aber ich konnte nichts erkennen. Ein Schleier hatte sich darüber gelegt, versperrte mir die Sicht. Ich streckte eine Hand aus, um das Glas zu berühren; ich musste es tun, es gab nichts anderes mehr, das ich tun wollte.
    Die Spiegeloberfläche begann zu verschwimmen – als hätte man einen Stein in Wasser geworfen. Es hielt mich nicht ab. Im Gegenteil. Es stachelte mich nur noch mehr an.
    Noch ein kleines Stückchen .
    Ein Sog umfasste meine Haare und meine Hüften.
    Nur ein einziger Schritt, nur … noch ein … Schritt …
    Der Schleier lichtete sich. Ich konnte es sehen …
    Im nächsten Moment war alles vorbei. Die Anziehung, der Druck und der Schmerz waren verschwunden.
    Ich war gestolpert und zu Boden gefallen. Meine Hände berührten Erde und Gras. Meine Hose war dreckig, aber das interessierte mich herzlich wenig. Ich rappelte mich auf und drehte mich in die Richtung, aus der ich gekommen war. Mich erwartete jedoch lediglich Schwärze. Das Portal selbst stand in einem kleinen, rechteckigen Steinhaus mit Kuppeldach – von Säulen getragen gerade breit genug, um einen Menschen hineinzulassen.
    Ich atm ete tief ein und aus. Meine Lungen füllten sich mit Luft, aber es war mehr als das; es fühlte sich an, als würde ich das erste Mal seit Wochen richtig atmen können.
    Jetzt erst konnte ich mir ansehen, wo ich gelandet war: Bei meiner A nkunft waren die Farben in den ersten Sekunden grell und leuchtend gewesen, sie hatten mich geblendet. Nun waren sie zwar angenehmer für meine Augen, gleichzeitig aber auch blass, geradezu gräulich. Der wolkenverhangene Himmel, der die Sonne nicht durchließ, veränderte das Bild nicht.
    Es hatte etwas Trostloses an sich.
    Kurz vor meiner Ankunft musste es geregnet haben. Von den Sträuchern und Bäumen um mich herum tropfte es in unregelmäßigen Abständen. Einige Blätter, denen das Wasser zu schwer gewesen sein musste, ließen sich hängen. Der Boden war weich wie Schaumstoff – aufgewühlt, leicht matschig. Und keine zwei Meter von mir entfernt, lud eine Schlammpfütze zum Hineinfallen ein.
    Ich wischte mir die Hände an der ohnehin dreckigen Hose ab und sah mich weiter um auf der Suche nach etwas Farbenfroherem. Diese d eprimierende Landschaft konnte nicht die Welt sein, in der die größten

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