Desiderium
mir vielleicht zustimmen, bevor wir losgingen.
»Also«, sagte Jaron schließlich. In Anwesenheit von Darragh hatte er Französisch gesprochen, nun wechselte er in ein perfektes Deutsch, das mich zusammenzucken ließ. Warum tat er das – als Einziger? »Du bist also Cassim Durands, die momentan mächtige Auserwählte der Blutlinie Josephs, Sohn von Israel.«
»Sehr witzig«, entgegnete ich .
» Kein Witz.« Mit einer Lässigkeit, um die ihn jeder Junge auf meiner Schule sicherlich beneidet hätte, machte er eine halbe Drehung und ging nun rückwärts auf dem Weg, den wir eingeschlagen hatten. Dass er mich vor wenigen Minuten allein mit Blicken noch hatte foltern wollen, schien er ausgeblendet zu haben. »Das hast du bei deinem letzten Besuch wohl vergessen zu erwähnen.«
» Du hast genauso wenig erwähnt, dass Darragh ein Eingeweihter ist. Als du mich zurückgebracht hast, lag da der Schluss nicht nahe, wer ich bin.«
»Schon. Natürlich war mir klar, wer du sein musst. Vielleicht habe ich einfach nur darauf gewartet, dass du dich vernünftig vorstellst, du warst schließlich die Fremde. Aber vermutlich warst du zu abgelenkt von meinem wahnsinnig guten Aussehen.«
»Und erschlagen von deinem übergroßen Ego«, murmelte ich. »Weißt du, wenn ich jedem Möchtegern- Kavalier meine Geheimnisse anvertrauen würde, egal, ob sie bereits Bescheid wissen könnten oder nicht, hätte meine Familie noch mehr Probleme als ohnehin. Du weißt schon, ein paar Verrückte, die mehr darüber wissen wollen oder einfach Angst haben und deshalb etwas Dummes tun, gibt es immer.« Aus irgendeinem Grund wanderten meine Gedanken zu allem, was ich über Hexenverbrennungen gelernt hatte. Ob jemand, der etwas mit meiner Familie zu tun gehabt hatte, wohl auch unter den Opfern gewesen war? »Und ob ich eine vernünftige Auserwählte werde, weiß ich nicht. Dafür sollst du ja sorgen.«
Jaron starrte eine Zeit lang in die Richtung, aus der wir gekommen w aren. Eine kleine Falte trat auf seine Stirn. »Ich denke, Darragh wird sich durchsetzen«, bemerkte er dann. »Er wirkt hartnäckiger.«
»Das Problem ist, dass Monsieur Chevalier zu nett ist. Sich gegen ihn durchzusetzen, ist nicht allzu schwer. Auch wenn man ihm anrechnen muss, dass er immer selbstbewusster zu werden scheint. Vor diesem Treffen hätte er sich fast in die Hose gemacht.«
Jaron lachte leise, doch der nachdenkliche Ausdruck blieb. »Wollen wir hoffen, dass Darragh nicht die Beherrschung verliert. Er kann sehr … überzeugend sein. Vermutlich ist das einer der Charakterzüge, die sein Verbundener in deiner Welt ebenfalls besitzt.«
»O danke für den Hinweis, jetzt weiß ich sofort, we r zu ihm gehört«, erwiderte ich. »Du hast offenbar vergessen, was passiert, wenn Darragh sich durchsetzt.« Nun war ich es, die ihm einen Seitenblick zuwarf.
Ich hielt inne. Jaron hatte die Augen geschlossen, seine Muskeln waren angespannt, sein Mund einen Spalt breit geöffnet. Im nächsten Auge nblick öffnete er seine Augen, sein Blick hing an mir, meinen Haaren, wanderte zu meinem Gesicht. Mein Magen zog sich zusammen. Dann wurde ihm bewusst, was er tat.
Er wandte den Blick ab und tat so, als wäre nichts passiert: »Uns bleibt wohl nichts anderes übrig als uns zu a rrangieren.«
»O ich bin fest davon ausgegangen, du würdest mehr protestieren. Immerhin hat Darragh dich belogen, was deine Freundin anging.«
» Kein Wort über Lillian, in Ordnung?« Eissplitter schienen in seiner Stimme mitzuschwingen. »So ungern ich es tue, muss ich Darragh recht geben: Wahrscheinlich ist es sogar das Beste, wenn ich dir helfe. Auch wenn ich sicher nicht rund um die Uhr für Madame zur Verfügung stehen werde.«
»Es bricht mir das Herz.« Mein Sarkasmus ließ seine Mundwi nkel ein weiteres Mal zucken.
»Du scheinst auch nicht gerade voller Eifer deinen Platz als heiß e rsehnte – Achtung Wortspiel – Auserwählte einnehmen zu wollen.«
»Sagen wir mal, die Alternativen waren nicht gerade verlockend.« Dass ich krank vor Schmerzen werden würde, wenn ich es nic ht tat, ging ihn nichts an. »Ach und schon mal ein kleiner Tipp für die Zukunft: Ich bin nicht gerade dafür bekannt, durchschaubar zu sein.«
Jaron sah mich neugierig an. »Was soll das heißen?«
»Dass die meisten Leute an oder in mir nur das sehen, was sie sehen wollen – oder was ich sie sehen lasse.«
Jaron nickte und wechselte die Richtung, sodass wir bald in einen B ereich kamen, den ich nicht kannte. Von nun an
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