Desiderium
musste ich noch mehr darauf vertrauen, dass er mich rechtzeitig zurückbringen würde. Er manövrierte uns durch ein paar Büsche, bis es kein Durchkommen mehr gab.
»Eine Sackgasse. Darragh hatte Recht deine Kenntnisse betreffend: Dein Orientierungssinn muss phänomenal sein, Partner .«
Er versuchte mich mit einer Arroganz zu strafen, die ihn hässlicher au ssehen ließ als er war. Eigentor. Dann wandte er sich der Blätterwand vor uns zu.
Er ging in die Hocke, blickte nach oben und zur Seite, ehe er sprang. Seine Finger umklammerten einen d icken Ast. Er zog die Beine an, ließ sich hin- und herschwenken, dann katapultierte er sich mit einem Salto noch höher. Spielerisch balancierte er auf einem dicken Ast vorwärts, machte weitere Sprünge, kletterte, hangelte, bis er verschwunden war. Es hätte jedem Artisten Respekt abgenötigt.
»Hast du dich jetzt entschieden, mich alleine zu la ssen?«, fragte ich in deutlich übertriebenen, verletzten Ton. »Willst du dich drücken und damit bewirken, dass ich Darragh sagen kann, dass man dir nicht vertrauen kann?«
»Wenn du dich selber schwächer darstellen willst als du wah rscheinlich bist, tue es. Du könntest auch einfach zu mir kommen.«
» Wie soll ich das tun? Soll ich mir Flügel wachsen lassen, um dich zu übertrumpfen?«
»Das wäre auf jeden Fall mal etwas Neues. Aber es würde schon re ichen, wenn du es auf meine Weise versuchen würdest.«
»Danke, ich verzichte.« Angst hatte ich keine, aber mein Selbsterha ltungstrieb hatte nie gelitten. Ich würde ganz sicher nicht ohne Übung diese halsbrecherischen Manöver ausprobieren.
Ich hörte Jaron übertrieben laut seufzen. Stimmung sschwankungen, freier Wille hin oder her, schienen selbst bei Sehnsüchten verbreitet zu sein. Und Jaron hatte eine geballte Ladung davon abbekommen.
Er lehnte sich mitten in das Gestrüpp und streckte seine Hände aus. Mit aller Kraft drückte er gegen die dünnen Äste und die dunkelgrünen Blätter. Es dauerte, aber schließlich räumte er mir einen kleinen Weg frei.
»Hättest du das nicht gleich machen kö nnen?«, fragte ich, als ich bei ihm war.
» Das wäre doch nur halb so lustig gewesen. Komm, sonst schaffen wir es nicht rechtzeitig!« Er führte mich zwei Mal nach rechts, um die Blätterwand herum, dann wieder nach links, bis wir wieder bekanntes Gebiet betraten. Mit seiner Kletteraktion hatte er nur angeben und sein Ego aufbessern wollen.
Wer’s braucht …
Weitere Sekunden, möglicherweise sogar Minuten verstrichen, in denen wir nicht sprachen und ich bemerkte, dass mir diese Stille ungelegen kam. Wie seltsam. Sonst war es immer besser gewesen, wenn man nicht versucht hatte mit mir zu reden.
»Du kennst Darragh«, durchbrach ich das Schweigen. »Du weißt, wie er tickt. Also was glaubst du, was wir zwei tun werden?«
Der anzügliche Ausdruck, der über sein Gesicht huschte, wäre mir beinahe entgangen. So viel zu seiner geliebten Freundin. »Wir werden recherchieren und uns an verschiedenen Orten umsehen müssen, wo seltsame Aktivitäten stattfinden. Ich weiß, was du denkst: Weshalb können das nicht Darragh und ein paar seiner Leute übernehmen? Die Antwort ist ganz einfach, Kleine: Ihr freier Wille ist nicht sonderlich stark ausgeprägt. Sie sind gebunden und haben weniger Zeit, da die meisten Menschen noch immer nicht wissen, dass diese Welt existiert. Bei mir scheint das anders zu sein.«
»Wenn du dich so frei bewegen kannst, warum teilen wir uns dann nicht auf? Dann müssen wir weniger Zeit miteinander verbringen.«
»Weil ich mich gerade entschieden habe, dass ich nur zu gerne sehen würde, wie du versuchst, dich hier rumzuschlagen. Du bist vollkommen unerfahren im Umgang mit den Leuten hier. Du hast keine Ahnung, was geht und was nicht, was du kannst und was nicht.«
»Na dann, viel Spaß mit mir«, erwiderte ich leise und das war au snahmsweise nicht sarkastisch, sondern vollkommen ernst gemeint. »Sonst noch Pläne für mich?«
Das kleine Lächeln kehrte zurück. »Ist das nur hier so oder hörst du grundsätzlich nicht zu? Wir werden trainieren. Alles frei bewegen der Welt bringt dir nichts, wenn du nicht länger als eine Stunde durchhältst. Legenden zu Folge wird es Dinge geben, in denen du unglaublich gut sein wirst – aber eben nicht in deinem momentanen Zustand. Vielleicht wirst du schneller laufen, vielleicht besser sehen als zu Hause. Nur größere außergewöhnliche Sachen wie Fliegen werden vermutlich nicht dazu zählen.«
»
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