Desiderium
Monsieur Chevalier, ist für heute abgelaufen. Würden Sie also bitte mit mir kommen.«
Monsieur Chevalier lenkte ein. Seine Miene war bemüht seriös und distanziert, als er sich mit einer Mischung aus Floskeln und Worten, die nur Eingeweihte verstanden, verabschiedete.
Aus Höflichkeit – meine Manieren vergaß ich nur die Hälfte der Zeit – streckte ich eine Hand aus. Darragh erwiderte den Händedruck fest und sah mir dabei in die Augen.
Auch Jaron ergriff meine Hand.
Das Déjà-vu nahm seinen Lauf: Elektrische Impulse jagten von meiner Hand bis in den letzten Winkel meines Körpers.
Jarons Miene verdüsterte sich zum wiederholten Mal. Er erinnerte sich wieder daran, warum er mich hasste.
7. Wie man lernt, unter Sehnsüchten zu leben
Aus dem Buch der Eingeweihten:
Nr. 1: Erkenne deine Bestimmung an
S chon passiert!
Nr. 2: Nutze deine Zeit, um zu trainieren (und zu helfen)
Vom nächsten Tag an befolgte ich einen strengen Zeitplan, den mein Großvater und seine Helfer für mich zusammengestellt hatten:
Montag:
10:00 Uhr: Training mit Jaron
Jaron und ich trafen uns auf dem Hügel, auf dem ich ihm und Darragh offiziell vorgestellt worden war. Ein weiterer Eingeweihter, Monsieur Belliers, begleitete mich. Man wollte, dass mein Training in den ersten Tagen überwacht wurde.
Im Vergleich zu den letzten Tagen, trug ich bei diesem Besuch Sportsachen, in denen ich mich freier bewegen konnte.
Jarons Begrüßung viel genauso knapp aus wie unser letzter Abschied. Seine be mühte Distanz war überdeutlich. Fast schon unhöflich wies er mich an, mich aufzuwärmen, während Monsieur Belliers sich zurückzog. Jaron selbst sah mir ebenfalls dabei zu, wie ich mich verrenkte. Er selbst schien es nicht für nötig zu halten.
»Du hast momentan allerhöchstens dreißig Minuten?«, erkundigte er sich scheinbar desinteressiert.
»Wenn du weiterhin so viel Zeit verschwendest, gleich nur noch dreiundzwanzig«, erwiderte ich und sah ihn dabei direkt an.
Über sein Gesicht zuckte der Ansatz eines Lächelns. »Gut. Das dürfte reichen. Siehst du den Fluss dort hinten? Bis dorthin werden wir jetzt laufen. Dann natürlich wieder zurück.«
»Danach ist meine Zeit wahrscheinlich abgelaufen. Das ist eine ganz schöne Strecke«, bedachte ich.
Das Lächeln wurde zu dem schiefen Grinsen, das ich bereits einige Male gesehen hatte. »Dann solltest du schnell anfangen.«
An diesem ersten Tag gelang es mir nicht, die gesamte Strecke durc hzulaufen. Die Anstrengung forderte ihren Tribut; meine Uhr fing früher an zu piepen; dennoch blieb ich so lange wie es geplant gewesen war.
Monsieur Belliers trat einen Schritt vor und klärte mich darüber auf, dass die Uhr mich früher warnen könnte, wenn die Bela stung zu groß werden würde. Das würde sich im Laufe der Zeit bessern. Ein Zeichen für mich, dass ich nicht einmal ansatzweise so etwas wie Kondition besaß.
Tatsächlich wurde ich bereits bei meiner nächsten Trainingseinheit be sser, ab der dritten gelang es mir, die Strecke zu laufen ohne eine Pause zu machen. Dort entwickelte ich mich so schnell wie andere nur mithilfe von Doping.
Wenn ich besonders gut war, zeigte Jaron, dass er zufrieden war. Im selben Atemzug betonte er, wie wichtig das Laufen war, weil es nicht nur meiner Kondition helfe, sondern auch der Koordination meiner Atmung.
Die einzige Veränderung , die ich spürte, war, dass meine Faust regelmäßig kribbelte. Als wolle sie in seinem Gesicht landen.
Dafür konnte ich ja nichts.
12 :00 Uhr: Mittagessen:
In der Villa deckte Ariana auf Anweisung meiner Großeltern den Es szimmertisch, sobald ich zurückgekehrt war. Mamé war überzeugt davon, ich müsse ein Drei- Gänge- Menü serviert bekommen, um nicht vom Fleisch zu fallen.
Es gab Buchstabe nsuppe zur Vorspeise, Gemüse- Hackfleisch- Auflauf und einen dressinglosen Salat zur Hauptspeise und eine kleine Portion Obstsalat als Dessert.
Während ich aß, huschte gelegentlich Ariane, mamé oder einer der Eingeweihten durch den Raum, aber niemand setzte sich zu mir.
14:00 Uhr: Das Buch:
Pépé führte mich in die Bibliothek im Erdgeschoss, wo er von nun an das Buch, in dem ich schon einmal gelesen hatte, aufbewahrte.
Ohne einen feierlichen, geradezu stolzen Blick verbergen zu können, übergab er es mir und wies mich an, so viel wie möglich zu lernen.
Ich setzte mich in einen der weichen Lehnstühle, spannte meine neu erworbenen Beinmuskeln an, um das Gewicht des Buches zu
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