Desiderium
Tür auf. Jaron fragte sie nicht, woher sie den Schlüssel hatte.
Die wenigen Möbel im Inneren waren von einer Staubschicht bedeckt. Auf dem Wohnzimmertisch stand eine Blume, die einmal gelb gewesen sein musste, nun jedoch ein vertrocknetes Braun angenommen hatte.
Seine Informantin setzte sich auf das beigefarbene Stoffsofa, er hing egen blieb stehen. Doch noch bevor sie den Mund aufmachen konnte, durchbrach ein ohrenbetäubendes Geräusch die Stille. In einem Augenblick sah er der Frau ins Gesicht – ihre Augen weiteten sich vor Angst – im nächsten wurde er auf den Boden geschleudert. Schmerz durchfuhr seine Knie und arbeitete sich weiter vor in seine Oberschenkel. Ein weiteres Knallen, ein grelles Aufleuchten und etwas Schweres drückte ihm auf die Beine; dann etwas auf den Brustkorb.
Er keuchte, konnte sich nicht mehr bewegen …
Als er wieder zu sich kam, brauchte er eine Weile, ehe er wusste, wo er sich befand. Er sah nichts als Holz, Staub und etwas langes weißes, das er nicht identifizieren konnte.
Stöhnend wollte er sic h bewegen, doch es gelang ihm nicht. Das Gewicht war zu schwer, um es alleine wegzuschieben. Er wollte den Kopf drehen, um sich anzusehen, was ihn einschränkte, aber auch dort sah er kaum mehr als Braun und Weiß. Die einzige Abwechslung bot etwas Hellblaues.
Er hielt inne, als er Schritte hörte. Langsame, zögernde Schritte. J emand näherte sich ihm. Jaron hörte, wie etwas unter den Schuhsohlen des Neuankömmlings knirschte. Glas. Dann war da ein Scharren als würde jemand etwas über den Boden schieben.
Sein Versuch, sich bemerkbar zu machen, scheiterte. Er bekam nichts als ein heiseres Stöhnen heraus. Staub stieg ihm ins Gesicht. Er hustete – seine Lunge fühlte sich an als hätte man ihn einige Stunden in eiskaltem Wasser gelassen.
»Jaron?«, hörte er dann jemanden nach ihm rufen.
Er hatte sich noch nie so sehr in seinem Leben gefreut, diese Stimme zu hören.
»Jaron?«, wiederholte die Stimme
Abermals versuchte er etwas Verständliches hervorzubringen. Nach zwei weiteren, viel zu leisen Geräuschen, brachte er ein ächzendes »Cassim!« hervor.
Die Schritte waren nun näher bei ihm, beschleunigten sich. Erneut das Geräusch von zertretenem Glas. Jaron hob den Kopf an und sah die Auserwählte des Durands- Clans direkt vor sich.
Bevor er etwas zu ihr sagen konnte, verschwand sie aus seinem Blickfeld und machte sich an dem Gewicht auf ihm zu schaffen. Einige Male stöhnte sie und verlor beinahe den Halt, dann spürte Jaron eine Erleichterung. Sein Oberkörper war befreit.
»Probier mal die Beine anzuziehen«, rief sie ihm von hinten zu.
Jaron tat wie geheißen und spannte die Muskeln an. Für den Bruchteil einer Sekunde durchfuhr ein heißer Schmerz seine Knöchel.
»Warte einen Moment«, unterbrach sie seinen Versuch. Das dritte Scharren, eine kleine Erleichterung. »Jetzt noch mal.«
Am Rande bemerkte er, wie Cassim sich gegen eine große Platte stemmte und sie Stück für Stück anhob. An ihrem Hals trat eine Ader hervor, ihre Finger verkrampften sich. »Zieh die Beine an.«
Als er es geschafft hatte, die Beine weit genug nach vorne zu ziehen, ließ Cassim die P latte zur Seite fallen und sank neben ihn.
» Bist du verletzt?«, fragte sie. »Jaron.« Sie schnipste vor seinem Gesicht herum, als er ihr nicht sofort antwortete. »Ich würde dich ja selbst untersuchen, aber im schlimmsten Fall verschlimmere ich es nur, weil deine Organe einem Stromschlag nicht standhalten.«
Er tastete seinen Brustkorb, Arme und Beine ab. Vorher würde sie keine Ruhe geben. »Ich glaube, es ist nichts. Ich fühl mich nicht anders, nur etwas … platt gemacht.« Er hustete knapp.
»Wurde meiner Meinung nach auch Zeit, dass du mal etwas unsanft auf dem Boden der Tatsache landest.«
Er schenkte ihr ein ironisches Lächeln. » Merci beaucoup . Hast du nicht mehr drauf?«
»Mehr als jemanden zu ärgern, über dem offensichtlich ein Haus ei ngebrochen ist? Ja, aber diese Seite wirst du vermutlich niemals an mir kennenlernen.«
Jaron lehnte den Kopf in den Nacken. »Oh«, machte er dann, als er über sich nichts als den Himmel sah. Das musste das Blaue gewesen sein, das er vorhin erkannt hatte. Nun da er sich ungehindert bewegen konnte, erkannte er die einzelnen, wenn auch zerstörten Stücke um ihn herum. Jede Menge Holz – von der Wand, die das Wohnzimmer vom Flur getrennt hatte bis hin zu den Dachbalken, die ihn mit Leichti gkeit hätten aufspießen können. Zwei Meter
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