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Desiderium

Desiderium

Titel: Desiderium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin C. Mittler
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Nicht einmal bei dem einzigen vor mir, der eine Dopplung gehabt hatte.
    »Wirst du jemandem erzählen, was wirklich passiert ist?« Alice’ Sti mme war zögernd und bemüht leise, obwohl sich jeder im Raum mit etwas anderem beschäftigte als uns zuzuhören. Sachen mit schlechten Sprüchen bekritzeln beispielsweise.
    »Mal sehen. Mein Großvater und die anderen Eingeweihten wissen bereits genug. Wenn ich ihnen die ganze Geschichte erzähle, werden sie sich wahrscheinlich nur künstlich aufregen, weil ihre wichtige Auserwählte in Gefahr war. Nach dem Gemälde werde ich noch mal im Buch nachsehen. Ab kommender Woche soll ich noch mehr Zeit damit verbringen. Du erinnerst dich, dass alle meinen, meine Augen würden sich wegen dem Einfluss verschlechtern? Das liegt wohl eher an der minimalen Schriftgröße.«
    »Und was ist mit Jaron oder Darragh?«
    »Ihnen schon eher. Auch wenn Jaron mich mit Sicherheit auslachen wird, wenn er von meiner Reaktion hört. Aber wie heißt es so schön: Was mich nicht umbringt, macht mich stark. Er muss den Spruch kennen, denn er lehrt ihn wortwörtlich.«
    Alice schenkte mir ein schiefes Lächeln: »Ich dachte immer, das Zitat sei auf Gefühle bezogen. «
    » Bei mir galten schon immer andere Regeln, das weißt du doch«, erwiderte ich.
    Im Flur wurde es unruhiger. Alice und ich erhoben uns und folgten den anderen in den eben geöffneten Raum, wo ich mich an meinen Fenste rplatz setzte, just in dem Moment, als Frau Richter, meine Deutschlehrerin und die einzige andere Deutsche außer mir an dieser Schule, den Raum betrat.
    Die plumpe, kurzhaarige Bayerin, der ich früher manchmal bei ihrem Dialekt geholfen hatte, bemerkte mit einem knappen Nicken in meine Richtung, das ich wieder da war, ehe sie sich mit Lächeln dem Kurs zuwandte.
    Was jedoch nicht den gewünschten Erfolg hatte: Alice war auf der anderen Seite des Raumes in ihre übliche Unterrichtshaltung verfallen – gelangweilt und mit anderen Dingen beschäftigt. Ihr Sitznachbar, ein Junge namens Pier Jolie, dessen Aussehen nicht zu seinem Nachnamen passte, sah aus als wolle er alle dem Erdboden gleichmachen, ehe er sich ungeniert einen Finger in die Nase steckte und dann den gefundenen Inhalt mitsamt Kaugummi unter den Tisch klebte.
    Ich hatte gar nicht gewusst, dass auch Fünfjährige in diesem Kurs zugelassen waren!
    Nach fünf Minuten, in denen ich mir den Aufsatz einer Bekannten a nhören musste, die einen Akzent beim Deutschsprechen hatte, das es einem kalt über den Rücken lief, und Frau Richter begonnen hatte, Vorträge über verschiedene deutsche Dialekte zu verteilen, bemerkte ich die ersten Unterschiede zu früher:
    Ich hätte wissen müssen, dass es mir nicht gut tun würde, Deutsch, und sei es auch noch so verunstaltet, zu hören. Die Sprache erinnerte mich mehr als alles andere in diesem Raum an den Ort, wo ich hätte sein sollen.
    Ich erinnerte mich an den Moment, als ich Jaron gefragt hatte, warum er nicht Französisch mit mir sprach. Augenblicklich waren seine Augen blasser geworden und er hatte mich zum Training aufgefordert, als hätte er mich nicht gehört. Für mich ein Zeichen, dass er darüber nicht sprechen konnte. So sehr alle betonten, dass er einen großen freien Willen besaß, er war noch immer an jemanden gebunden.
    Mitten in der Stunde setzten die Magenkrämp fe ein. Nun kam ich mir endgültig wie ein Junkie auf Entzug vor. In dieser Sekunde konnte ich mir nicht vorstellen, dass das sogenannte Gefühlschaos meiner Mitschüler schlimmer sein sollte als das, was man mir in die Wiege gelegt hatte.
    Alle Versuche, mich abzulenken, wurden von einer Stimme in meinem Kopf zu Nichte gemacht: Ein Schrei! Die Stimme rief so laut, dass mein Kopf zu platzen schien. Sie hämmerte durch meine Ohren und einen überdrehten Moment lang fragte ich mich, warum die anderen im Raum sich nicht die Ohren zuhielten.
    Es war die Stimme aus meinen früheren Träumen. Die zweite, die ich nie hatte zuordnen können. Bis jetzt:
    Es war Jarons Stimme, die meinen Kopf füllte.
    Ich erhob mich so abrupt, dass mein Stuhl umfiel.
    Alle starrten mich an. Vorne an der Tafel verfiel Frau Richter vor Schreck gänzlich ins Bayerische zurück.
    Ich nahm meine Jacke, ließ allerdings meine Tasche stehen und zwän gte mich durch die engen Tischreihen. Im Vorbeigehen streifte Alice mit der Hand meine Schulter.
     
    *
     
    Jaron handelte, ohne dass Darragh oder Cassim etwas davon wussten.
    Er war froh darüber – ohne Darragh fühlte er sich

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