Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
sie hin und wieder eine rezeptfreie Schmerztablette, die sie manchmal sogar mit einem Tröpfchen Wein hinunterspülte, aber mehr nicht.
Sie verspürte einen heftigen Stich in der Hüfte und zuckte zusammen. Vor dem elektrischen Kamin, den ihr Carlo und seine Frau Misty – was war denn das für ein Name? – letztes Jahr zu Weihnachten geschickt hatten, blieb sie stehen. Auf dem Kaminsims, der fast so aussah, als wäre er aus echtem Walnussholz, standen Fotos von ihren geliebten Enkelkindern. Mrs. Rubino lächelte. Außerdem stand da natürlich noch ein Foto von ihrer Hochzeit mit ihrem geliebten Silvio, Gott hab ihn selig. Sie trug ein weißes Hochzeitskleid mit einem handgefertigten Spitzenschleier, und Silvio hatte seinen dunklen Anzug an. Seine Augen waren tiefbraun, sein perfekt geschnittener Schnurrbart war schwarz wie die Nacht. Sie berührte sein Gesicht und sagte ihm – natürlich auf Italienisch –, wie sehr sie ihn liebte.
»Ti amo per sempre.« Ich liebe dich, für immer.
Eine
Liebe,
ein
Ehemann.
Nicht fünf.
Ihr Blick fiel auf das Bild von Jesus mit seinem strahlenden Heiligenschein. Sie lächelte wieder, bekreuzigte sich schnell und flüsterte ein Ave Maria. Dann wandte sie sich dem Herd zu, stellte die Platte ab und dachte an die junge Frau, die zusammen mit ihr im Erdgeschoss am Ende des Flurs wohnte. Sie war eine Hure, das war klar angesichts der vielen Männer, die den Flur entlang zu ihrer Tür gingen, doch Constantina glaubte, dass die Frau eine Veränderung anstrebte.
Als sie vorgestern am späten Abend durch ihren Türspion schaute, hatte sie einen Priester entdeckt, der aus ihrem Apartment kam.
Ein gutes Zeichen.
Womöglich hatte die Frau ihre Sünden erkannt.
Wäre das tatsächlich der Fall, so war es an Constantina, ihr eine gute Nachbarin zu sein und ihr dabei zu helfen, ihr verkommenes Leben hinter sich zu lassen. Ja, es war an ihr, auf die junge Frau zuzugehen.
Summend machte sie sich auf die Suche nach einem Einweckglas und füllte es mit ihrer dampfenden Soße. Es war prima, dass ihre Freundin Donna-Marie Esposito ihr bei ihren samstäglichen Gin-Rummy-Nachmittagen wieder und wieder zugeredet hatte, die Soße zu verkaufen, genau wie Paul Newman. Als Constantina errötend widersprochen hatte, sie habe weder Mr. Newmans Geld noch seinen Ruhm, hatte Donna-Marie ihre Argumente mit dicken, beringten Fingern beiseitegewischt. »Na und? Deine Soße schmeckt besser als alle, die ich bislang probiert habe, sogar besser als die meiner geliebten Tante, Gott hab sie selig. Ich sage dir, weder
zia
Rosalie noch Paul Newman können dir das Wasser reichen. Oh, warte!« Sie hatte ihre Hände in die Höhe gereckt, als habe sie soeben eine Nachricht von Gott höchstpersönlich empfangen. Die Karten fest zwischen den Fingern mit den vielen Ringen, in denen sich funkelnd das Licht des großen Kronleuchters brach, eine Camel ohne Filter zwischen ihren glänzenden, fuchsiafarbenen Lippen, hatte sie gerufen: »Du solltest sie ›Rubinos echte Pastasoße nach altem italienischem Rezept‹ nennen und es mit diesem Newman aufnehmen. Wer ist schon Paul Newman? Definitiv
kein
Italiener. Du könntest ein Vermögen machen. Ach, übrigens: Gin.« Sie knallte ihre Karten auf den Tisch.
Als Mrs. Rubino jetzt daran dachte, errötete sie und lächelte, dann schraubte sie den Deckel zu und hielt inne, um sich eine neue Zigarette anzuzünden. Sie setzte sich an den Küchentisch und rauchte sie bis zum Filter – bloß nichts verschwenden, hatte ihre Mutter, Gott sei ihrer Seele gnädig, ihre neun Kinder stets ermahnt. Constantina würde diesen Rat bis zu ihrem Tod befolgen. Sie drückte die Salem light im Aschenbecher aus, wusch sich die Hände und stellte das Soßenglas in das Körbchen, das an ihrem Rollator befestigt war. Dann machte sie sich auf den Weg zur Haustür.
Das dauerte eine Weile. Schließlich war sie nicht mehr die Jüngste, und diese Hüfte, ach du liebe Zeit. Trotzdem humpelte sie zu der Wohnung dieser Frau – Grace hieß sie –, aus der Musik dudelte.
Sie klopfte gegen die Tür, die sofort aufschwang. Offenbar war das Schloss nicht eingeschnappt gewesen. Kein Wunder, dass die Musik so laut war. Wie nannte man das noch? Hiphop? Hoppelhop? Wie bei den Kaninchen?
Die jungen Leute heutzutage!
Was dachte sich dieses Mädchen eigentlich dabei, in einer Gegend wie dieser die Tür offen stehen zu lassen?
»Hallo?«, rief Constantina. »Hallo, Gracie?« Sie richtete ihren Rollator aus und
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