Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
die Stunde.
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Kapitel zweiundvierzig
A ls herrschte die berühmte Ruhe vor dem Sturm, blieb es in den nächsten Tagen ruhig. Zu ruhig, fand Montoya, als er bei Tagesanbruch durch die Straßen joggte. Die Muskeln in seinen Beinen verkrampften sich, ein Beweis dafür, dass er sein tägliches Training in den letzten zwei Wochen vernachlässigt hatte. Die fünf Meilen, die er für gewöhnlich lief, kamen ihm heute länger vor, das Atmen fiel ihm schwerer, obwohl Hershey mühelos neben ihm herrannte.
Um mit dem Hund Schritt zu halten, würde er wohl seine Gelegenheitsraucherei einstellen müssen. Außerdem war ihm Abby auf die Schliche gekommen. Sie sagte zwar nichts, aber sie schaute ihn böse an und rümpfte die Nase, wenn er – vermutlich nach Rauch riechend – von seinem »Spaziergang« zurückkam. Normalerweise hätte sie ihm die Leviten gelesen, aber wenn er bis über beide Ohren in einem Fall steckte, ließ sie die Zügel etwas lockerer. Und das nutzte er aus.
»Das ist der Preis dafür, die Ehefrau eines wahren Teufelskerls von Detective zu sein«, pflegte sie ihn aufzuziehen. Doch seit Benjamins Geburt waren ihre Bemerkungen schärfer und besorgter geworden, was ihm ein wenig zu schaffen machte.
Er bog um eine Ecke, joggte durchs French Quarter. Der schokobraune Labrador wurde ein bisschen langsamer, als sie an den Gebäuden mit den breiten, schmiedeeisernen Balkons vorbeiliefen. Aus den Gullys schien Dampf aufzusteigen. Hershey und er kamen an einigen Passanten vorbei. Vereinzelt drang Licht aus den Fenstern der über den Geschäften liegenden Wohnungen.
Montoya nahm noch einmal seine Kräfte zusammen und lief schneller.
Am Fluss joggte er den Gehweg direkt am Wasser entlang und atmete tief die nach Mississippi riechende Luft ein. Ein Schwarm Pelikane flatterte vor ihnen auf. Hershey warf ihnen einen sehnsüchtigen Blick nach, aber er blieb neben seinem Herrchen.
»Braver Junge«, stieß Montoya atemloser, als ihm lieb war, hervor, dann wandte er seine Gedanken wieder dem Fall zu – und der Tatsache, dass der Killer bislang nicht wieder zugeschlagen hatte.
Zumindest nicht, soweit sie wussten.
Die Leute vom FBI schnüffelten herum, eine Sondereinheit war gebildet worden, die Presse verlangte Antworten, und alle im Department fürchteten nervös, dass ein weiterer Mord geschah, dass eine weitere strangulierte Nonne gefunden wurde, noch eine Prostituierte, erwürgt mit einem Rosenkranz, anschließend vergewaltigt und zurückgelassen mit einem verunstalteten Hunderter.
Doch bislang – nichts. Bentz hatte Dr. Sam befragt, die Psychologin, die die Radiosendung
Midnight Confessions
auf WSLJ moderierte und ein paar Jahre zuvor Ziel von Vater Johns erstem Blutrausch gewesen war. Sie hatte geschworen, dass beim Sender keine außergewöhnlichen Anrufe oder Anfragen eingegangen waren. Montoya war ohnehin der Ansicht, dass jeder, der zum Hörer griff und eine Psychologin in einer Radiosendung um Rat fragte, eine gewaltige Schraube locker hatte. Wer, der noch all seine Sinne beisammen hatte, würde sich über seine intimsten Probleme auslassen, wenn ganz New Orleans zuschalten konnte? Doch gäbe es wohl kaum eine solche Vielzahl von Sendungen wie
Jerry Springer
oder auch die Gerichtsshow
Judge Judy,
wenn nicht echte Nachfrage bestünde.
»Ich kapier’s nicht«, gestand er Hershey, der an der Leine neben ihm hertrabte.
Montoya joggte durch die anbrechende Morgendämmerung, Nebel bildete sich über dem Fluss, seine Gedanken wirbelten, Schweiß lief ihm den Körper hinunter.
Schwester Camille Renards Tagebuch war interessant, aber etwas anderes als ein paar Einträge, die nicht viel Sinn ergaben und höchstens ihre sexuellen Vorlieben und Begegnungen offenbarten – alle mit verschiedenen Partnern –, hatte es nicht enthalten. Montoya war zusammengezuckt, als er über ihre erste sexuelle Erfahrung gelesen hatte, vor allem, weil sie ihrem Tagebuch anvertraut hatte, dass es weit weniger befriedigend gewesen war, als sie erwartet hatte.
Ihre anderen Liebhaber waren anscheinend mehr nach ihrem Geschmack gewesen. Er war das Tagebuch durchgegangen, hatte versucht, aufgrund der Zeitangaben Namen mit Ereignissen zu verknüpfen. Es wurde zum Beispiel Brandon Keefe erwähnt, ein Mann, mit dem sie kurze Zeit verlobt gewesen war und der mittlerweile mit seiner Frau und mehreren Kindern in Kalifornien lebte. Oder Joshua Lassiter, der Mitglied der Kirchengemeinde von St. Marguerite geworden war, doch das,
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