Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
einer grausamen Hexe in eine Kreatur mit winzigen Zähnen, der sich windenden silbernen Schlange und den klauenartigen Händen verwandelt.
»O Gott«, flüsterte sie. Ein Schauder durchlief sie und verursachte ihr Gänsehaut. Die entsetzliche Angst, die sie all die Jahre hindurch verspürt hatte, ging zurück auf eine Nonne, die sie angeschrien hatte, eine Nonne, die ihr mit einem Lineal auf die Finger geschlagen hatte, eine Nonne, die es zu genießen schien, anderen Schmerzen zu bereiten. Wie albern, dachte Valerie, wo es im Waisenhaus doch so viele Leute gegeben hatte, die freundlich zu ihr gewesen waren.
»Valerie?«, fragte Slade, die Augen düster vor Besorgnis, die Hand noch immer fest an ihrem Ellbogen.
»Es … es geht mir gut«, stieß sie hervor und brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande, obwohl sie wusste, dass die Bilder aus ihrer Kindheit, die Angst und der Schmerz, sie vermutlich für den Rest ihres Lebens begleiten würden.
»Wir müssen nicht bleiben.«
»Ich sagte, es geht mir gut. Komm, wir gehen weiter.« Sie strebte dem Speisesaal zu, wo sie an einem der vielen Tische Platz nahmen und darauf warteten, dass ihre Tischnachbarn eintrafen und die Getränke serviert wurden. Es gab Bier und Wein, andere Alkoholika standen nicht auf der Speisekarte.
Bevor sie bedient wurden, betrat Vater Thomas, ein großer, dunkelhaariger Mann mit einem unbefangenen Lächeln und scharfem Blick, das Podium, ging zum Mikrofon und stellte sich und seine Mitarbeiter vor.
Schwester Ignatia, ein Ehrengast, wurde in ihrem Rollstuhl hereingeschoben, eine verschrumpelte, buckelige Alte mit einem ausgemergelten Gesicht, gezeichnet von Falten, was ihr das Aussehen einer Wachsfigur verlieh.
Das sollte die Frau sein, die bei Valerie so viele entsetzliche Alpträume hervorgerufen hatte? Dieser winzige, verdorrte Körper in einem Ordensgewand? Wie war es möglich, dass diese bedauernswerte Frau noch immer auf so grauenvolle Art und Weise Valeries Unterbewusstsein beherrschte?
Schwester Ignatia, die ohne fremde Hilfe nicht mehr gehen konnte, wurde mitsamt ihrem Rollstuhl an einem Tisch nahe des Podiums geparkt. Sie rührte sich kaum, kauerte sich in ihrem Stuhl zusammen, eine zerschlissene Wolldecke über dem Schoß. Um ihren Hals baumelte ein silbernes Kreuz.
Vielleicht, so dachte Valerie, würden ihre Alpträume nun endlich enden.
Sobald Ignatias Rollstuhl nach ihren Vorstellungen ausgerichtet war, traten Vater Frank und Vater Paul zu Vater Thomas ans Mikrofon. Begeistert wies Vater Thomas auf die gespendeten Auktionsgegenstände hin, die in der alten Turnhalle von St. Elsinore begutachtet werden konnten. Es war Unglaubliches darunter, von einer Zwei-Personen-Reise nach Las Vegas bis hin zu einem weißen Flügel, einem Unikat, gespendet von Arthur und Marion Wembley, zeitlebens Bürger von New Orleans und Gemeindemitglieder von St. Marguerite. Die Wembleys, verkündete Vater Thomas, seien beide vor über achtzig Jahren im Waisenhaus von St. Elsinore gewesen.
Nach diesen Worten rief er die Anwesenden zum gemeinsamen Gebet vor dem Essen auf.
Sobald das letzte Amen geflüstert war und die meisten Gäste sich hastig bekreuzigt hatten, wurden endlich die Speisen aufgetragen.
Val hatte keinen Appetit. Sie war zu angespannt, zu konzentriert auf das, was sie im Waisenhaus zu tun beabsichtigte. Das hier war vermutlich die einzige Gelegenheit, die Akten von St. Elsinore zu durchforsten auf der Suche nach den Informationen, die Camille ins Verderben gestürzt hatten. Während alle in der alten Turnhalle bei der Auktion saßen, wollte sich Val ins Archiv schleichen und herausfinden, wer zum Teufel sie wirklich war.
Ihre Identität, davon war sie überzeugt, hatte etwas mit dem Mord an ihrer Schwester zu tun.
Valerie schob ihren Shrimps-Melonen-Salat auf dem Teller herum. Sie spürte, dass sie gemustert, dass jede ihrer Bewegungen verfolgt wurde, aber wer in dieser Riesenmenge von fünf-, sechshundert Leuten hätte ein Interesse daran, sie zu beobachten?
Ihre Nackenhärchen sträubten sich, als sie über die Schulter blickte, doch sie konnte niemanden entdecken.
Dennoch, gab es einen besseren Ort, sich zu verbergen, als in einer Menge unbekannter Gesichter?
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Kapitel neunundvierzig
V on seinem Posten neben einer Seitentür aus beobachtete Montoya die Gäste im Speisesaal des Hotels. Über fünfhundert Personen, alle in Schale geworfen, alle bereit, das Portemonnaie für das neue Waisenhaus zu öffnen, doch
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