Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
fragte sich Val, ob sie ihre Schwester überhaupt gekannt hatte. Es gab so viele Widersprüche, so viele Dinge, die sie nicht wusste, so vieles, was sie an Camille nicht verstand, die zum Beispiel – soweit sich Valerie erinnern konnte – Kinder nie besonders gemocht hatte. Und trotzdem hatte sie ihre Zeit in dem Waisenhaus verbracht und war selbst schwanger geworden. Außerdem wussten sie doch beide, wer ihre leiblichen Eltern waren, es war nie ein Geheimnis gewesen.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie an die Mutter Oberin gewandt.
»Nichts, das kann ich Ihnen versichern.« Wieder das schwache Lächeln. »Schwester Camille war lediglich eine äußerst verwirrte junge Frau.«
Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Kirchenglocken schlugen laut, ihr Klang hallte durch den Garten. Die Nonne, die sie zuvor begleitet hatte, Schwester Zita, erschien.
»Es tut mir leid, Mutter Oberin, Sie haben jetzt einen Termin«, erinnerte die Nonne Schwester Charity.
»Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden«, sagte diese. »Wir sind spät dran.«
»Warten Sie bitte noch einen Augenblick. Ich würde mich gern mit einigen Freundinnen und Kolleginnen meiner Schwester unterhalten. Ich weiß zum Beispiel, dass sie Schwester Lucy nahestand.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach die Mutter Oberin mit einem eisigen Lächeln.
»Ich werde im Krankenhaus gebraucht«, sagte Vater Frank.
Valerie, der klarwurde, dass sie gegen steinerne Mauern anrannte, gab auf. Hier vermochte sie nichts mehr zu erreichen.
Für heute. Mit mehr Fragen als zuvor verließ sie den Garten in Richtung des schmiedeeisernen Zauns, der das Anwesen umgab. Sie ärgerte sich über die Mutter Oberin, brodelte vor Zorn auf Vater Frank und war immer noch sauer, weil Slade ihr hierhergefolgt war.
Mit Slade auf den Fersen gelangte sie zu dem Tor zur Seitengasse, das natürlich abgeschlossen war. Als wäre das Kloster ein verdammtes Gefängnis.
»Ich mache das schon«, hörte sie auf einmal Schwester Zitas Stimme. Val drehte sich um und erblickte die große, schlanke Nonne, die hinter Slade hereilte. »Es tut mir leid wegen der Mutter Oberin«, sagte sie, zog einen Schlüssel aus den Tiefen ihres Gewands und steckte ihn ins Schloss. »Alle hier sind völlig außer sich.« Sie öffnete das Tor und begegnete Vals Blick. »Mein Beileid.«
»Vielen Dank«, sagte Val und verspürte einen Kloß in der Kehle. Mit Ablehnung konnte sie umgehen, Freundlichkeit dagegen ließ sie beinahe zusammenbrechen. Selbst wenn ihr diese Freundlichkeit von einer Frau entgegengebracht wurde, deren Stimme so gefühlskalt war wie ihre Augen.
Mit einem Klicken fiel das Tor hinter ihnen ins Schloss.
Val warf noch einen Blick durch die Gitterstäbe in den Garten, doch dieser war leer.
Dann ließ sie die Augen ein letztes Mal an der Fassade des Wohntrakts hinaufgleiten und verspürte wieder das unheimliche Gefühl, das sie schon zuvor befallen hatte. Ihr Blick flog über die Gebäude, die den Konvent umstanden. Plötzlich bemerkte sie eine flüchtige Bewegung in einem der oberen Erker. Jemand lungerte dort herum, eine unscharfe, in Schwarz gekleidete Gestalt drückte sich rückwärts in die Schatten.
Vals Nackenhärchen sträubten sich.
Sie blinzelte.
Nichts regte sich mehr in dem Erker. Seltsam …
Sie rief sich ins Gedächtnis, dass dies hier ein Kloster war, eine heilige Stätte. Trotzdem konnte sie das furchterregende Gefühl nicht abschütteln, dass dort jemand lauerte, jemand, der Böses im Schilde führte, der sie beobachtete … Sie schob ihre bangen Gedanken beiseite und redete sich ein, sie würde sich alles nur einbilden, weil der Mord an Camille sie nervös machte.
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Kapitel achtzehn
U ngläubig starrte Cruz seinen älteren Bruder an. »Lucia Costa lebt als Nonne in St. Marguerite?«, wiederholte er fassungslos. Sie saßen in einem kleinen Restaurant nicht weit entfernt von der Polizeistation, Cruz auf der einen Seite des Tisches in der schmalen Sitznische, Montoya auf der anderen. Es war sauber hier, und hinter der Glasscheibe der langen Theke wurden verschiedene Salate und aufgeschnittene, fertig zubereitete Fleischsorten angeboten. Bratgeruch hing in der Luft und wurde von dem sich langsam drehenden Ventilator an der Decke verwirbelt. »Sie ist hier in New Orleans?« Cruz tippte mit der Fingerspitze in die Luft und zog zweifelnd die Augenbrauen hoch.
»Hm.« Montoya biss in das Po’boy-Sandwich, und sein Blick glitt von seinem Bruder zur Glastür
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