Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
sich die Mutter Oberin, nachdem alle Platz genommen hatten.
»Ich hätte gern Auskunft über meine Schwester«, erklärte Val. »Ich weiß, dass sie hier beschäftigt war, und ich habe gehört, dass sie nach unseren leiblichen Eltern gesucht hat.«
»Ach ja, sie war nahezu besessen davon, herauszufinden, wer sie waren.«
»Aber wir wussten es doch! Ich erinnere mich an meine leiblichen Eltern«, sagte Val und wiederholte die Geschichte, die man ihr über ihre Adoption erzählt hatte. Die Mutter Oberin hörte geduldig und ohne zu unterbrechen zu, ab und an sah sie zu Slade hinüber, der neben Valerie saß.
Als Val geendet hatte, sagte Schwester Georgia: »Natürlich sind sämtliche Adoptionsakten schon vor langer Zeit unter Verschluss gestellt worden. Ich konnte Camille nicht anders helfen, als ihr emotional zur Seite zu stehen, wie ich es bei so vielen Leuten tue, die hierherkommen, um nach Antworten auf ihre Fragen zu suchen.« Sie runzelte leicht die Stirn. »Und was den Wahrheitsgehalt der Geschichte anbelangt, die man Ihnen erzählt hat …« Sie zuckte die Achseln.
»Nun, Sie könnten es herausfinden.«
Georgia nickte. »Ja, aber ich habe einen Schwur abgelegt. Und wie ich schon sagte: Die Akten stehen unter Verschluss.«
»Dann finden Sie eine Möglichkeit, sie zugänglich zu machen«, beharrte Val, der klarwurde, dass diese freundliche Nonne auf ihre Weise ebenso unbeugsam war wie Schwester Charity. »Es geht auch um
mein
Leben« – sie stieß ihren Daumen gegen die Brust –, »und ich denke, es besteht die Möglichkeit, dass meine Schwester umgebracht wurde, weil sie versucht hat, einen Blick in diese Akten zu werfen.«
Das Gesicht der Mutter Oberin blieb ungerührt.
»Bitte verstehen Sie: Ich muss die Wahrheit wissen!«
»Natürlich. Es ist nur so, dass ich die Verantwortung trage. Verpflichtungen habe, wenn Sie so wollen –«
Slades Handy klingelte, und er griff in seine Tasche. »Verzeihung«, sagte er. Schwester Georgia kniff die Lippen zusammen. »Entschuldigen Sie mich«, fügte er hinzu und ging aus dem Büro. Val hörte, wie er sagte: »Hallo. Oh, verflixt. Welches Pferd? … Hör mal, ich bin noch in New Orleans. Ruf den Tierarzt …« Dann wurde seine Stimme von der Tür abgeschnitten, die sich hinter ihm schloss.
»Wie kommen Sie mit Ihrem Verlust zurecht?«, fragte die Mutter Oberin, die ihre Gelassenheit wiedergefunden hatte. »Ich weiß, wie schwer so etwas ist.«
»Es geht«, sagte Valerie, aber sie war nicht in der Stimmung, über Schmerz und Trauer zu sprechen. Sie schaltete einen Gang zurück, beruhigte sich und sagte: »Ich möchte meine Geburtsurkunde einsehen, und ich würde mich gern mit den Frauen unterhalten, mit denen Camille zusammengearbeitet hat, mit allen, die eine Vermutung haben könnten, warum sie ermordet wurde.«
»Ist das nicht eigentlich Sache der Polizei?«
»Natürlich, aber …« Val verkrampfte die Hände und öffnete sie wieder. Sie versuchte, einen anderen Kurs einzuschlagen, um die Frau umzustimmen. »Schwester Georgia, haben Sie Geschwister?«, fragte sie schließlich. Sie war es satt, ständig gegen irgendwelche Mauern anzurennen.
Schwester Georgia nickte. »Sogar fünf.«
»Und was würden Sie tun, wenn eines Ihrer Geschwister, das jüngste –«
»Mein Bruder Patrick.«
»Wenn Ihr Bruder Patrick kaltblütig ermordet würde? Würden Sie nicht alles in Ihrer Macht Stehende versuchen, um seinen Mörder vor Gericht zu bringen?«
Schwester Georgias Lippen verzogen sich zu einem geduldigen Lächeln. »Ich verstehe Ihr Bedürfnis, etwas zu tun, doch manchmal ist es das Beste, mit Gottes Hilfe Frieden mit sich selbst zu schließen.« Die Mutter Oberin ergriff Vals Hand. »Mitunter ist das der einzige Weg, auf Antworten zu stoßen. Vertrauen Sie auf Gottes Weisheit.«
Val zog ihre Hand zurück, sie hatte diese beschwichtigenden, herzlichen, hilfsbereiten Worte satt.
»Ich bitte nicht um viel.« Sie hielt den Blick der älteren Nonne fest und gab sich alle Mühe, nicht zu weinen oder zu schreien oder vor lauter Frust zu fluchen. Es gelang ihr, ruhig und gefasst zu bleiben, so wie sie es bei ihrer Arbeit als Detective in Texas stets gewesen war. »Das ist nicht nur für mich eine Tragödie, sondern auch für die Kirche. Ich suche lediglich nach Antworten, bemühe mich, den Tod meiner Schwester zu verstehen. Ich versuche nicht, der Polizei ins Handwerk zu pfuschen oder in irgendeiner Weise die Autorität der Kirche zu untergraben.«
Georgia
Weitere Kostenlose Bücher