Désirée
dem General. »Und an welcher Front könnte ein Angriffskrieg erfolgreich durchgeführt werden?«, wollte er wissen. »An der italienischen natürlich. Wir jagen die Österreicher aus Italien. Ein sehr billiger Feldzug. Unsere Truppen lassen sich mit Leichtigkeit in Italien verpflegen. Ein so reiches, fruchtbares Land!«
»Und die italienische Bevölkerung? Die hält doch zu den Österreichern!«
»Die italienische Bevölkerung wird durch uns befreit werden. Wir werden in allen Provinzen, die wir erobern, die Menschenrechte verkünden.« Obwohl das Gesprächsthema den General sehr zu interessieren schien, langweilten ihn Etiennes Einwände sichtlich. »Sie haben einen wunderschönen Garten«, sagte jetzt Joseph Buonaparte zu Mama und blickte durch die Glastür. »Es ist noch zu früh in der Jahreszeit«, ließ sich plötzlich Julie vernehmen. »Aber wenn der Flieder blüht und die Kletterrosen am Gartenhäuschen …« Sie schwieg verwirrt. Aus dieser Bemerkung konnte ich ersehen, dass Julie bereits ihr Gleichgewicht verloren hatte. Denn Flieder und Kletterrosen blühen nicht gleichzeitig. »Haben die Pläne für einen Angriffskrieg an der italienischen Front bereits konkrete Form angenommen?« Etienne gab keine Ruhe. Der Gedanke eines Angriffskrieges schien ihn zu faszinieren. »Ja, ich bin so gut wie fertig damit. Gegenwärtig inspiziere ich unsere Festungen hier im Süden.«
»Man ist also in Regierungskreisen entschlossen, einen italienischen Feldzug –«
»Der Bürger Robespierre persönlich hat mich mit dieser Inspektionsreise betraut. Sie scheint mir notwendig vor Beginn unserer italienischen Offensive.« Etienne machte kleine Geräusche mit der Zunge am Gaumen, ein Zeichen, dass er tief beeindruckt war. »Ein großer Plan«, nickte er, »ein gewagter Plan.« Der General blickte Etienne lächelnd an, und dieses Lächeln schien meinen Bruder, diesen nüchternen Geschäftsmann, völlig gefangen zu nehmen. Etienne stotterte wie ein Schuljunge und sagte eifrig: »Wenn der große Plan nur gelingt, wenn er nur gelingt!«
»Beruhigen Sie sich, Bürger Clary, er wird gelingen«, antwortete der General und erhob sich. »Und welche der beiden jungen Damen würde die Güte haben, mir den Garten zu zeigen?« Julie und ich sprangen gleichzeitig auf. Und Julie lächelte Joseph zu. Ich weiß nicht genau, wie es kam, aber zwei Minuten später befanden wir vier uns ohne Mama und ohne Etienne im frühlingsnackten Garten. Da der Kiesweg, der zum Gartenhäuschen führt, recht schmal ist, mussten wir paarweise gehen. Julie und Joseph gingen voraus, und ich wanderte neben Napoleone einher und zermarterte mir den Kopf, worüber ich mit ihm sprechen könnte. Ich wollte so schrecklich gern Eindruck auf ihn machen. Er schien jedoch unser Schweigen nicht zu bemerken und tief in Gedanken versunken zu sein. Gleichzeitig ging er so langsam, dass sich Julie und sein Bruder immer weiter von uns entfernten. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass er seine Schritte absichtlich verlangsamte. »Wann glauben Sie, dass mein Bruder und Ihre Schwester heiraten werden?«, sagte er unvermittelt. Zuerst glaubte ich, nicht richtig gehört zu haben. Ich sah ihn verlegen an und spürte, dass ich rot wurde. »Nun?«, fragte er. »Wann wird die Hochzeit sein? Ich hoffe, bald.«
»Ja, aber – aber die beiden haben einander doch erst kennen gelernt«, stotterte ich. »Und wir wissen doch gar nicht –«
»Die beiden sind füreinander bestimmt«, erklärte er. »Davon sind Sie ja auch überzeugt.«
»Ich?« Ich machte erstaunte runde Augen und blickte ihn genauso an, wie ich Etienne anblicke, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe und nicht will, dass er mich auszankt. Etienne murmelte dann meistens etwas von »Kinderaugen« und ist mir nicht länger böse.
»Bitte, sehen Sie mich nicht so an!«, kam es jetzt. Ich glaubte, vor Verlegenheit in die Erde sinken zu müssen. Gleichzeitig wurde ich sehr wütend. »Sie haben sich doch selbst gestern Abend gedacht, dass es vorteilhaft wäre, wenn Ihre Schwester meinen Bruder heiraten würde. Sie ist doch in dem Alter, in dem sich junge Mädchen zu verloben pflegen«, meinte er. »Ich habe nichts dergleichen gedacht, Bürger General!«, beharrte ich und hatte das Gefühl, Julie in irgendeiner Weise bloßgestellt zu haben. Ich ärgerte mich nicht mehr über ihn, sondern nur über mich selbst. Er blieb stehen und wandte sich mir zu. Er war nur einen halben Kopf höher als ich, und es schien ihm angenehm zu sein,
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