Désirée
Talleyrand ruhig. »Ich möchte, dass Sie diese schwedischen Herren empfangen und ihnen einige freundliche Worte sagen. Die Wahl dieserWorte überlasse ich natürlich Ihnen. Ist das zu viel verlangt?«
»Ich glaube, Sie wissen nicht, was Sie verlangen«, sagte Jean-Baptiste tonlos. Ich habe ihn noch nie so sprechen hören. »Ich möchte nicht, dass die Schweden den Eindruck gewinnen, dass der Kaiser einen seiner berühmtesten Marschälle zurzeit – nun, sagen wir – kaltgestellt hat. Es würde im Ausland den Eindruck von Unstimmigkeiten in den Kreisen, die dem Kaiser sehr nahe stehen, erwecken. Sie sehen, die Begründung meiner Bitte ist sehr einfach.«
»Zu einfach«, sagte Jean-Baptiste. »Viel zu einfach für einen Diplomaten wie Sie. Und – viel zu kompliziert für einen Sergeanten wie mich.« Er schüttelte den Kopf. »Ich verstehe Sie nicht! Wirklich nicht, Exzellenz!« Dabei ließ er ihm schwer die Hand auf die Schulter fallen: »Wollen Sie mir einreden, dass ein ehemaliger Bischof weniger pflichteifrig ist als ein ehemaliger Mathematikprofessor?« Talleyrand wies mit einer eleganten Bewegung seines Stockes auf seinen steifen Fuß: »Der Vergleich hinkt, Ponte Corvo. Genauso wie ich. Es fragt sich nämlich, wem gegenüber man sich verpflichtet fühlt.« Da lachte Jean-Baptiste auf. Befreit und viel zu laut für einen Fürsten, es war das Lachen seiner jungen Armeetage. »Sagen Sie nicht, dass Sie sich mir verpflichtet fühlen! Denn das glaube ich Ihnen nicht!«
»Natürlich nicht. Gestatten Sie mir, ein wenig großzügig zu denken. Sie wissen, wir ehemaligen Bischöfe haben es während der Revolution nicht leicht gehabt. Ich habe mich diesen lebensgefährlichen Schwierigkeiten durch eine Amerikareise entzogen. Diese Reise hat mich gelehrt, nicht nur an einzelne Staaten, sondern an ganze Kontinente zu denken. Ich fühle mich einem Kontinent im Allgemeinen verpflichtet. Und zwar unserem, lieber PonteCorvo. Europa im Allgemeinen. Und natürlich Frankreich im Besonderen. Ich küsse Ihre Hand, schöne Fürstin, leben Sie wohl, lieber Freund – es war ein anregendes Gespräch!« Jean-Baptiste verbrachte den ganzen Nachmittag zu Pferd. Abends machte er Rechenaufgaben mit Oscar und ließ das arme Kind multiplizieren und addieren, bis ihm die Augen zufielen, und ich versuchte, meinen müden Jungen ins Bett zu schleppen. Aber Oscar ist so groß geworden, ich kann ihn gar nicht mehr tragen. Über Talleyrands Besuch sprachen wir nicht mehr, denn vor dem Schlafengehen hatten wir eine Diskussion über Fernand. Jean-Baptiste sagte nämlich: »Fernand beklagt sich, dass du zu freigebig mit Trinkgeldern bist. Jeden Augenblick steckst du ihm etwas zu!« »Herrgott, du hast mir selbst gesagt, dass wir jetzt reich sind und dass ich nicht so sparsam sein soll. Und wenn ich Fernand, deinem alten Schulkollegen, diesem Treuesten der Treuen, eine Freude machen will, so braucht er sich nicht gleich hinter meinem Rücken bei dir zu beklagen und zu behaupten, dass ich leichtsinnig sei.«
»Schluss mit den Trinkgeldern! Fernand bekommt jetzt eine Monatsrente von Fouché und verdient dabei mehr als genug.« »Was –?« Ich war fassungslos. »Gibt sich Fernand dazu her, dich zu bespitzeln …?«
»Kleines Mädchen, Fernand hat von Fouché den Antrag erhalten, auf mich aufzupassen, und er hat ihn angenommen, weil er findet, dass es schade um das schöne Geld wäre. Aber er ist sofort zu mir gekommen und hat mir erzählt, wie viel ihm Fouché bezahlt, und vorgeschlagen, ich soll ihm dafür weniger Gehalt geben. Fernand ist der anständigste Bursche unter der Sonne.«
»Und was hat er alles dem Polizeiminister über dich erzählt?«
»Es gibt jeden Tag etwas zu erzählen. Heute zumBeispiel habe ich mit Oscar Rechenaufgaben gemacht. Sehr interessant für den ehemaligen Mathematiklehrer. Gestern –«
»Gestern hast du an Madame Récamier geschrieben, und das kränkt mich«, warf ich sofort ein. Wir waren bei einem vertrauten Thema angelangt. Von Talleyrand war gar nicht mehr die Rede.
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Paris, 16. Dezember 1809.
E s war entsetzlich!
So peinlich und qualvoll für alle, die dabei sein mussten. Denn der Kaiser verlangte, dass sich alle Mitglieder seiner Familie, seiner Regierung, seines Hofstaates und seine Marschälle versammelten. In ihrer Gegenwart ließ er sich gestern von Josephine scheiden. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatten Jean-Baptiste und ich eine Aufforderung erhalten, in den Tuilerien zu erscheinen. Wir
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