Désirée
Ohne die unerwartete Mobilisierung und die Energie eines Marschalls, der diese ungeschulten Bauernsöhne, die seit über zehn Jahren kein Gewehr mehr in der Hand gehalten haben, in eine Armee verwandeln konnte, wäre Frankreich verloren gewesen. Fouché wurde daher in den Adelsstand erhoben und heißt jetzt Herzog von Otranto. Das klingt beinahe so romantisch wie Ponte Corvo, und Fouché hat sein Herzogtum ebenso wenig gesehen wie ich unser italienisches Fürstentum. Der Kaiser ließ es sich nicht nehmen, persönlich Fouchés Wappen zu entwerfen: eine goldene Säule, um die sich eine Schlange windet. Diegoldene Säule erregte allgemeine Heiterkeit. Der ehemalige Präsident des Jakobinerklubs, der einst jedes Vermögen, von dem er hörte, als republikfeindlich konfiszieren ließ, ist heute einer der reichsten Männer Frankreichs. Einer seiner besten Freunde ist der frühere Liebhaber der Theresa Tallien, der Waffenlieferant Ouvrard. Ouvrard ist auch Bankier und deckt Fouchés Börsengeschäfte. Über die Schlange, die sich um die Säule windet, wird nicht gesprochen. Napoleon ist seinem Polizeiminister zu Dank verpflichtet und hat die Gelegenheit benutzt, ihm seine Meinung zu sagen. Natürlich haben alle erwartet, dass der Kaiser auch Jean-Baptiste auszeichnen und ihm einen neuen Oberbefehl anvertrauen werde. Aber der Kaiser hat ihm nicht einmal ein Wort des Dankes geschrieben. »Wozu denn? Ich verteidige Frankreich nicht um seinetwillen«, sagte Jean-Baptiste nur, als ich davon sprach. Wir wohnen jetzt in La Grange, einer sehr hübschen großen Villa in der Nähe von Paris, die Jean-Baptiste gekauft hat. Das Haus in der Rue d’Anjou ist ihm verhasst. Obwohl ich die Räume neu und schön tapezieren ließ, findet er, dass »Schatten« in allen Ecken lauern. »Es ist dir doch recht, dass ich Moreaus Büste in die Halle gestellt habe?«, fragte ich vorsichtig, als Jean-Baptiste das Haus zum ersten Mal betrat. Jean-Baptiste sah mich an: »Du hättest keinen besseren Platz finden können. Dann wird wenigstens jedem Besucher gleich beim Eintritt bewusst werden: Wir vergessen bestimmt nicht, dass wir in Moreaus ehemaligem Haus wohnen. Seltsam, wie du immer meine unausgesprochenen Wünsche errätst, kleines Mädchen!«
»Wieso seltsam? Ich liebe dich doch«, meinte ich. Ich genieße jeden Tag, den Jean-Baptiste in Ungnade ist und den wir ruhig miteinander auf dem Land verbringen können. Von Julie erfahre ich sogar, was sich in der so genannten großen Welt zuträgt. Sie ist mit Josephzurückgekommen. Der Kaiser hat Junot mit einer Armee nach Spanien geschickt, um Joseph endlich seinen Einzug als König in Madrid zu ermöglichen. Junots Armee ist von den spanischen Patrioten, die von den Engländern unterstützt werden, beinahe vernichtet worden. Junot behauptet, die Niederlage sei nur Joseph zu verdanken, weil er als König von Spanien persönlich den Oberbefehl übernehmen und gar nicht auf Junot hören wollte. Mein Gott, jetzt will Joseph sogar Armeen kommandieren! Und das nur, um Napoleon zu beweisen, dass er genauso gut Krieg führen kann wie »mein kleiner Bruder, der General«. Ob Julie ihren Joseph noch immer nicht durchschaut hat? Wenn es Napoleon plötzlich schlecht ginge, wie damals in Marseille, würden sie ihn wieder alle im Stich lassen? Nein, nicht alle. Josephine würde zu ihm halten. Aber gerade von ihr will er sich scheiden lassen, heißt es. Um endlich eine Dynastie zu gründen, und zwar mit Hilfe einer österreichischen Erzherzogin, einer Tochter des Kaisers Franz. Arme Josephine, sie hat ihn zwar betrogen, aber sie würde ihn nie verlassen.
Gestern bekamen wir einen überraschenden Besuch: Graf Talleyrand, Fürst von Benevent. Der Fürst nannte es einen »nachbarlichen« Besuch und lachte. Das Herzogtum Benevent liegt nämlich neben Ponte Corvo. Talleyrand und wir wurden gleichzeitig mit unseren kleinen Fürstentümern beschenkt. Neben Fouché ist Talleyrand der mächtigste Mann im Dienst Napoleons. Dabei hat sich Talleyrand vor einem Jahr von seinem Außenministerposten zurückgezogen. Es heißt, dass er nach einer heftigen Szene mit Napoleon, in der er vor neuen Kriegen warnte, sein Portefeuille zurücklegte. Napoleon scheint jedoch seine diplomatischen Dienste nicht entbehren zu können, er ernannte ihn zum »Großwürdenträger« des Kaiserreiches und verlangte, dass Talleyrand auch weiterhin vorallen wichtigen Entscheidungen des Außenministeriums befragt wird. Ich kann den hinkenden
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