Désirée
sollten uns um elf Uhr vormittags im Thronsaal einfinden. Um halb elf Uhr lag ich noch im Bett. Mag geschehen, was will, ich rühre mich nicht aus den Polstern, hatte ich beschlossen. Es war ein kalter, grauer Tag. Ich schloss die Augen und stellte mich schlafend. Mag geschehen, was will. »Was heißt das? Du bist noch im Bett?« Jean-Baptistes Stimme. Ich öffnete die Augen und sah die Galauniform. Der hohe goldbestickte Kragen funkelte, die Ordenssterne glitzerten. »Ich bin erkältet, entschuldige mich bitte beim Hofmarschall«, sagte ich nur. »Wie damals vor der Krönung. Der Kaiser wird dir seinen Leibarzt schicken. Steh sofort auf und mach dich fertig. Wir kommen sonst zu spät!«
»Ich glaube nicht, dass mir der Kaiser diesmal seinen Leibarzt schicken wird«, sagte ich ruhig. »Es könnte sein, dass Josephine in dem Augenblick, in dem sie ihre Einwilligung zur Scheidung vorliest, um sich blickt und dass ihr Blick dabei auf mich fällt. Ich nehme an, dass ihr der Kaiser wenigstens diesen Anblick ersparen will.« Ich sah Jean-Baptiste flehend an: »Verstehst du mich nicht? Diesen – diesen hässlichen, diesen abscheulich, billigen Triumph kann ich nicht ertragen!« Jean-Baptiste nickte: »Bleib im Bett, kleines Mädchen, du bist sehr erkältet. Und schone dich!« Ich sah zu, wie der blausamtene Mantel, der inschweren Falten von seinen Schultern fällt, verschwand. Dann schloss ich wieder die Augen. Als es elf Uhr schlug, zog ich die Decke bis übers Kinn. Auch ich werde älter, dachte ich, auch ich werde einmal Fältchen um die Augen haben und keine Kinder mehr bekommen können … Trotz meiner Eiderdaunendecke wurde mir kalt. Ich rief Marie und bat um heiße Milch. Ich war ja erkältet. Sie brachte die Milch und setzte sich an mein Bett und hielt meine Hand. Noch bevor es zwölf schlug, war Jean-Baptiste zurück, und Julie kam mit ihm.
Jean-Baptiste lockerte sofort den hohen bestickten Kragen, murmelte: »Die peinlichste Szene, die ich je erlebt habe, der Kaiser mutet seinen Marschällen etwas zu viel zu!«, und verließ dann mein Schlafzimmer. Marie verschwand, weil Julie eingetreten war. Sie ist noch immer böse auf sie. Dabei ist doch Julie nur noch eine Königin ohne Land. Die Spanier haben König Joseph endgültig davongejagt. Aber niemand in Paris darf das eingestehen. »Wir mussten uns alle im Thronsaal aufstellen, jedem wurde seinem Rang gemäß ein Platz angewiesen. Wir – ich meine, die kaiserliche Familie – standen dicht vor den Thronsesseln. Dann traten der Kaiser und die Kaiserin gleichzeitig ein, hinter ihnen der Großkanzler und Graf Regnaud. Graf Regnaud hielt sich dicht neben der Kaiserin. Die Kaiserin war wie immer in Weiß. Und auf Blass gepudert, du verstehst. Ganz auf Märtyrerin zurechtgemacht …« »Julie, sprich nicht so hässlich von ihr, es muss doch entsetzlich für sie gewesen sein!«
»Natürlich war es schauerlich für sie. Aber ich habe sie ja nie leiden können, ich kann ihr nicht verzeihen, dass sie dir damals –« »Sie hat nichts von mir gewusst, und sie kann gar nichts dafür«, sagte ich schnell. »Was geschah weiter?«
»Es wurde totenstill. Der Kaiser begann eine Urkundevorzulesen. Dass nur der liebe Gott weiß, wie schwer ihm dieser Schritt fällt, und dass ihm kein Opfer zu schwer ist, wenn es sich um das Wohl Frankreichs handelt … Und dass Josephine fünfzehn Jahre lang sein Leben verschönt habe, dass er sie einst mit eigenen Händen krönte und dass sie immer den Titel einer Kaiserin von Frankreich führen soll.«
»Wie hat er ausgeschaut, während er das gelesen hat?«
»Du weißt ja, wie er jetzt bei offiziellen Anlässen ausschaut. Steinern. Talleyrand nennt es die Cäsarenmaske. Er hat die Cäsarenmaske aufgesetzt und so schnell gelesen, dass man geradezu Mühe hatte, alles zu verstehen. Er wollte es so schnell wie möglich erledigen.«
»Und was geschah weiter?«
»Ja – siehst du, dann wurde es so entsetzlich peinlich. Man reichte der Kaiserin eine Urkunde, und sie begann vorzulesen. Zuerst war ihre Stimme so leise, dass man kein Wort verstand. Plötzlich brach sie in Tränen aus und reichte das Blatt Regnaud. Regnaud musste für sie weiterlesen. Es war ein furchtbarer Anblick …«
»Was stand in ihrer Urkunde?«
»Dass sie hiermit mit Erlaubnis ihres geliebten Gatten erklärt, keine Kinder mehr bekommen zu können. Und dass das Wohl Frankreichs von ihr das größte Opfer fordert, das je von einer Frau verlangt wurde. Dass sie ihm für seine
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