Désirée
General? Wir haben schon auf Sie und Eugénie gewartet.«Dabei konnte man ihr und Joseph anmerken, dass sie uns völlig vergessen hatten. Sie saßen dicht nebeneinander auf einer kleinen Bank, obwohl doch eine ganze Menge von Sitzgelegenheiten herumstanden. Außerdem hielten sie einander bei den Händen und dachten, dass man das in der Dämmerung nicht sehen würde. Wir kehrten alle vier zum Haus zurück, und die beiden Brüder Buonaparte wollten sich verabschieden. Aber da sagte Etienne plötzlich: »Es wäre meiner Mutter und mir ein großes Vergnügen, wenn der Bürger General und der Bürger Joseph Buonaparte mit uns zu Abend essen würden. Es ist lange her, seitdem ich Gelegenheit hatte, so anregende Gespräche zu führen.« Dabei blickte er den General geradezu bittend an, Joseph dagegen schien ihm ganz gleichgültig zu sein. Julie und ich liefen in unser Zimmer, um uns das Haar zu richten. »Die beiden haben einen guten Eindruck auf Mama und Etienne gemacht«, sagte sie. »Gottlob!«
»Ich mache dich aufmerksam, dass Joseph Buonaparte bald um deine Hand anhalten wird. Und zwar hauptsächlich wegen –« Ich stockte. Das Herz tat mir weh. »Wegen der Mitgift!«, vollendete ich. »Wie kannst du nur so etwas Hässliches sagen!« Julies Gesicht war dunkelrot geworden. »Er hat mir erzählt, wie arm seine Familie ist, und –«, sie setzte zwei kleine schwarze Samtschleifen ins Haar – »und er könnte natürlich kein bettelarmes Mädchen heiraten, da er nur ein kleines Gehalt hat und daran denken muss, seiner Mutter und den jüngeren Geschwistern zu helfen. Ich finde das sehr schön von ihm. Außerdem –« Sie unterbrach sich: »Eugénie! Ich will nicht, dass du schon wieder mein Rouge benutzt!«
»Hat er dir schon gesagt, dass er dich heiraten will?«
»Weiß der Himmel, warum man in deinem Alter immer glaubt, dass sich ein junger Mann nicht mit einer Dame unterhalten kann, ohne sofort von Liebe zu sprechen!Ich habe mit dem Bürger Buonaparte ausschließlich über das Leben im Allgemeinen und über seine kleinen Geschwister geplaudert.«
Auf dem Weg ins Esszimmer, in dem sich nun die ganze Familie um unsere beiden Gäste gruppierte, legte Julie plötzlich den Arm um meine Schultern und presste ihre Wange an mein Gesicht. Ihre Wange war sehr heiß. »Ich weiß nicht, warum, aber – ich bin so gut aufgelegt«, flüsterte sie und küsste mich. Das hängt wahrscheinlich mit ihrer Verliebtheit zusammen, überlegte ich. Mir selbst war weder heiß noch kalt. Aber ich hatte bereits jenes seltsame Ziehen in der Herzgegend. Napoleone, dachte ich. Ein ausgefallener Name. So ist einem also zumute, wenn man sich verliebt. Napoleone …
Das ist alles zwei Monate her.
Und gestern habe ich meinen ersten Kuss bekommen, und Julie hat sich verlobt. Irgendwie hängen diese beiden Ereignisse zusammen, denn während Julie und Joseph im Gartenhäuschen saßen, standen Napoleone und ich an der Hecke am rückwärtigen Ende unseres Gartens, um die beiden nicht zu stören. Mama hat mir nämlich aufgetragen, die Abendstunden im Garten stets mit Julie und Joseph zu verbringen, weil Julie doch ein junges Mädchen aus gutem Haus ist. Seit jenem ersten Besuch erscheinen die Brüder Buonaparte beinahe jeden Tag bei uns. Etienne – wer hätte es gedacht, es geschehen noch Zeichen und Wunder – fordert sie dazu auf. Er kann nämlich gar nicht genug von seinen Gesprächen mit dem jungen General bekommen. (Armer Napoleone, ihn langweilen diese Unterhaltungen ganz schrecklich!) Etienne gehört zu jenen Leuten, die ihre Mitmenschen nach dem Ausmaß ihrer Erfolge einschätzen. Als ich seinerzeit berichtete, dass die Brüder Buonaparte korsische Flüchtlinge seien, wollte ermit ihnen nichts zu tun haben und nannte sie »Abenteurer«. Dann hat ihm aber Joseph den Ausschnitt aus der Dezembernummer des »Moniteur« gezeigt, in der die Ernennung Napoleones zum Brigadegeneral veröffentlicht wurde, und seitdem ist Etienne für Napoleone ganz begeistert. Napoleone hat nämlich die Engländer aus Toulon vertrieben. Und das kam so:
Die Engländer, die sich immer in unsere Angelegenheiten einmischen und so empört sind, weil wir unseren König zum Tode verurteilt haben (und dabei sagt Napoleone, dass es keine hundertfünfzig Jahre her sei, dass sie mit ihrem König genau dasselbe gemacht haben), also – die Engländer hatten sich mit den Royalisten von Toulon verbündet und die Stadt besetzt. Unsere Truppen mussten deshalb Toulon belagern. Napoleone
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