Désirée
wurde hinkommandiert und, was seinen Vorgesetzten nicht gelungen war, erreichte er innerhalb ganz kurzer Zeit: Toulon konnte gestürmt werden, und die Engländer ergriffen die Flucht. Damals wurde der Name Buonaparte zum ersten Mal im Heeresbericht genannt und Napoleone zum Brigadegeneral befördert. Etienne hat ihn natürlich über alle Einzelheiten des Touloner Sieges ausgefragt, aber Napoleone sagte, dass das Ganze keine Kunst gewesen sei. Nur eine Frage von ein paar Kanonen, und er, Napoleone Buonaparte, wisse genau, wo und wie Kanonen am besten einzusetzen sind. Nach dem Erfolg bei Toulon ist Napoleone nach Paris gereist, um irgendeinen Weg zu Robespierre zu finden. Robespierre ist nämlich der mächtigste Mann im Komitee für öffentliche Sicherheit. Dieses Komitee bildet unsere Regierung. Der Weg zum großen Robespierre ging über den kleinen Robespierre, den Bruder des gefürchteten Kommissars. Robespierre – der richtige nämlich – fand Napoleones Pläne für einen Angriffskrieg in Italien ausgezeichnet, sprach mit seinem Kollegen Carnot darüber undverlangte von ihm, Napoleone mit den Vorarbeiten dazu zu betrauen. Cornot leitet nämlich das Kriegsministerium. Und Napoleone sagt, dass dieser Carnot jedes Mal wütend wird, wenn sich Robespierre in die Angelegenheiten des Kriegsministeriums hineinmischt, denn die gehen ihn eigentlich gar nichts an. Aber niemand wagt, Robespierre zu widersprechen, ein von ihm unterschriebener Arrestbefehl genügt, um einen auf die Guillotine zu bringen. Deshalb hat auch Carnot Napoleone scheinbar freundlich empfangen und sich von ihm die italienischen Pläne überreichen lassen. »Inspizieren Sie zuerst die südlichen Festungen, ich werde Ihre Ideen genau studieren, Bürger General«, hat Carnot gesagt, aber Napoleone ist überzeugt davon, dass seine Pläne in einer Schublade im Kriegsministerium begraben liegen. Robespierre jedoch wird schon durchsetzen, dass Napoleone den Oberbefehl in Italien erhält, meint Joseph.
Etienne und alle unsere Bekannten hassen diesen Robespierre. Aber sie sagen es nicht laut, das wäre lebensgefährlich. Es heißt, dass Robespierre die Mitglieder des Revolutionstribunals beauftragt hat, ihm heimlich über die Einstellung aller Staatsbeamten zu berichten. Auch das Privatleben jedes einzelnen Bürgers wird angeblich überwacht. Robespierre hat erklärt, dass ein einwandfreier Republikaner ein moralisches Leben zu führen und jeden Luxus zu verachten hat. Neulich hat er sogar alle Bordelle in Paris zusperren lassen. Ich habe Etienne gefragt, ob Bordelle ein Luxus sind, aber mein Bruder wurde böse, weil ich von solchen Sachen nicht sprechen darf. Auch darf nicht mehr auf der Straße getanzt werden, obwohl dies bisher an Feiertagen das billigste Vergnügen war. Etienne hat uns streng verboten, Robespierre jemals in Gegenwart der Brüder Buonaparte zu kritisieren. Er selbst spricht mit Napoleone fast ausschließlich über dieitalienischen Pläne. »Es ist unsere heilige Aufgabe, sämtlichen europäischen Völkern die Begriffe Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit beizubringen«, sagt Napoleone. »Und wenn es sein muss, mit Hilfe von Kanonen!« Ich höre immer diesen Gesprächen zu, um in Napoleones Nähe zu sein, obwohl sie mich entsetzlich langweilen. Das Ärgste ist, wenn Napoleone beginnt, meinem Bruder aus dem Handbuch moderner Artillerie vorzulesen. Das kommt nämlich manchmal vor, und Etienne, dieser Idiot, bildet sich ein, etwas davon zu verstehen. Ich glaube, Napoleone ist ein richtiger Seelenfänger. Wenn er jedoch mit mir allein ist, spricht er niemals von Kanonen. Und wir sind sehr oft allein … Nach dem Abendbrot sagt nämlich Julie regelmäßig: »Wir sollten mit unseren Gästen ein wenig in den Garten gehen, nicht wahr, Mama?« Mama sagt dann: »Geht nur, Kinder!« Und wir vier – Joseph und Napoleone, Julie und ich – verschwinden in der Richtung des Gartenhäuschens. Aber bevor wir das Häuschen erreicht haben, schlägt Napoleone meistens vor: »Eugénie, was halten Sie von einem Wettlauf? Versuchen wir, wer von uns beiden zuerst die Hecke erreicht!« Dann raffe ich meinen Rock hoch. Julie ruft: »Achtung – fertig – los!« Worauf Napoleone und ich wie zwei Besessene auf die Hecke zustürzen. Während ich mit wild fliegenden Haaren und Herzklopfen und Seitenstechen die Hecke erreiche, verschwinden Joseph und Julie im Gartenhäuschen. Manchmal gewinnt Napoleone den Wettlauf, manchmal auch ich. Aber, wenn ich zuerst die
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