Désirée
Flotte, die immer mit ihrer Bildung prahlt, erzählte mir, dass hier einmal ein dänischer Prinz gewohnt habe, der Hamlet hieß und seinen Onkel ermordete. Weil dieser Onkel seinerzeit nicht nur den König, Hamlets Vater, ermorden ließ, um selbst die Krone zu tragen, sondern auch Hamlets Mutter, die wunderschöne Königin, heiratete. Der ermordete Vater soll im Schloss gespukt haben …
»Ist das alles schon lange her?«, wollte ich natürlich wissen. Das wiederum wusste Madame La Flotte nicht. Nur, dass ein englischer Dichter ein Trauerspiel darüber geschrieben habe. Ich dankte dem Schicksal, dass ich nicht in diesem Spukschloss wohnen musste, und rief natürlich Oscar, der begeistert die Kanonen auf der Bastei untersuchte, sofort zurück. »Lassen Sie doch das Kind«, meinte Villatte. »Nein, hier spukt es.« Morgen fahren wir nach Schweden hinüber. Es ist zwar immer noch neblig, aber die See ist ruhiger. Ich studiere zum letzten Mal den Zettel mit den Namen der Damen und Herren, die mich in Hälsingborg empfangen werden. Meine neue Hofdame,eine Gräfin Carolina Lewenhaupt. Ein Hoffräulein Mariana Koskull. Hofstallmeister Baron Reinhold Adelswärd, die Kammerherren Graf Erik Piper und Sixten Sparre und schließlich ein neuer Leibarzt, der Pontin heißt. Meine Kerzen sind niedergebrannt, es ist vier Uhr morgens, ich muss versuchen zu schlafen. Jean-Baptiste ist mir nicht entgegengereist. Erst hier habe ich erfahren, dass Napoleon am 12. November der schwedischen Regierung ein Ultimatum gestellt hat. Entweder erklärt Schweden den Engländern innerhalb von fünf Tagen Krieg oder befindet sich selbst im Krieg mit Frankreich, Dänemark und Russland. In Stockholm trat der Staatsrat zusammen. Alle Augen richteten sich auf den neuen Kronprinzen. Aber Jean-Baptiste erklärte: »Meine Herren, ich bitte Sie zu vergessen, dass ich in Frankreich geboren bin und dass der Kaiser noch das Liebste, was ich auf der Welt besitze, in seiner Macht hat. Meine Herren, ich wünsche, an dieser Staatsratssitzung nicht teilzunehmen, um Ihre Beschlüsse nicht zu beeinflussen.« Jetzt verstehe ich, warum die Herren der schwedischen Botschaft in Paris verlangten, dass Oscar und ich unsere Abreise beschleunigen sollten. Der schwedische Staatsrat entschied sich für den Krieg mit England. Am 17. November überreichten die Schweden den Engländern ihre Kriegserklärung. Aber Graf Brahe, der bereits mit einigen Schweden gesprochen hat, verriet mir: »Seine Königliche Hoheit, der Kronprinz, hat einen geheimen Kurier nach England geschickt und ersucht, diese Kriegserklärung nur als Formalität zu betrachten. Schweden wünscht den Handel mit englischen Waren fortzusetzen und schlägt vor, dass von nun an die englischen Schiffe, die den Hafen von Göteborg anlaufen, unter amerikanischer Flagge segeln.« Vergeblich zerbreche ich mir den Kopf über diese Vorfälle. Napoleon hätte Oscar und mich als Geiseln behalten können. Aber er ließ unsabreisen und sandte mir noch einen Zobelpelz nach. Weil er annahm, dass ich frieren werde … Jean-Baptiste dagegen bittet den Staatsrat, auf seine Familie keine Rücksicht zu nehmen. Schweden ist ihm wichtiger, Schweden ist ihm das Allerwichtigste auf Erden. Von allen Seiten höre ich, wie sehnsüchtig die Schweden unser Kind erwarten. Wenn Oscar allein schlafen würde, könnte ich in meiner Angst zu ihm hinübergehen. Ich lasse mich durch Nebel und Kälte jagen, um mein Kind abzuliefern. Und weiß nicht einmal, ob Oscar glücklich werden wird. Sind Erbprinzen eigentlich glücklich?
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Hälsingborg, 22. Dezember 1810.
(Ich bin heute in Schweden
angekommen.)
D ie Kanonen auf der Bastei von Kronenborg in Helsingör donnerten, als wir das schwedische Kriegsschiff bestiegen. Die Mannschaft stand stramm. Oscar legte die kleine Hand an den Dreispitz, ich versuchte zu lächeln. Es war immer noch sehr neblig, der eisige Wind blies mir die Tränen in die Augen. Deshalb setzte ich mich in die Kajüte. Oscar wollte jedoch auf Deck bleiben und die Kanonen untersuchen. »Und mein Mann ist wirklich nicht gekommen?«, fragte ich zum soundsovielten Mal den Grafen Brahe. Den ganzen Vormittag über waren kleine Schiffe mit Botschaften aus Hälsingborg nach Helsingör gekommen, um ihn über alle Einzelheiten des Empfanges zu informieren. »Wichtige politische Entscheidungen halten Seine Königliche Hoheit in Stockholm zurück. Man erwartet neue Forderungen Napoleons.« Eine ganze Welt scheint zwischen diesem eisigen
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