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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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mit gesunden roten Wangen, dichtem dunklem Haar, einer unmöglichen Frisur und starken, gesunden Zähnen. Ich kann sie nicht leiden, sie schaut mich immer so neugierig abschätzend an. Ich ließ mir alle Einzelheiten über die Ankunftvon Jean-Baptiste in Stockholm erzählen. Wie er mit einem Schlag die Herzen der Majestäten gewonnen hatte. Der kränkliche König war bei seinem Eintritt mühsam von seinem Lehnstuhl aufgestanden und hatte ihm die zitternde Hand entgegengestreckt. Jean-Baptiste hat sich über die zitternde Hand gebeugt und sie geküsst. Dem alten Mann waren die Tränen über die Wangen gerollt. Dann hatte Jean-Baptiste die Königin aufgesucht. Hedvig Elisabeth Charlotte hatte für ihn große Toilette gemacht. Auf ihrer Brust steckte jedoch wie immer eine Brosche mit dem Porträt des verbannten Gustaf IV. Als sich Jean-Baptiste über ihre Hand beugte, soll er ganz einfach gesagt haben: »Madame, ich verstehe, was Sie bei meiner Ankunft fühlen. Und ich bitte Sie nur, sich daran zu erinnern, dass auch Schwedens erster König Soldat war. Ein Soldat, der nichts anderes wollte, als Ihrem Volke zu dienen.« Jean-Baptiste scheint jeden Abend im Salon der Königin zu verbringen. Der alte König zeigt sich stets nur am Arm des Kronprinzen. Im Audienzsaal, bei den Sitzungen des Staatsrates – überall muss Jean-Baptiste ihn stützen. Ein zärtlicher Sohn, ein liebender Vater … Wie die Schneeflocken, so wirbelten auch die Erzählungen um mich. Ich versuchte, mir das neue Familienidyll vorzustellen. Welche Rolle soll ich darin spielen? Alle nennen die Königin eine sehr kluge, sehr ehrgeizige Frau, der das Schicksal einen vorzeitig senilen Mann beschert und den einzigen Sohn im Kindesalter entrissen hat. Sie ist erst Anfang fünfzig, und Jean-Baptiste soll ihr den Sohn ersetzen und – nein, ich kenne mich nicht aus! »Bis jetzt war Fräulein von Koskull die Einzige, die Seine Majestät dazu bewegen konnte, zuzuhören und sogar zu lachen«, sagte jemand. »Aber jetzt schwankt sein Herz zwischen der schönen Mariana und Seiner Königlichen Hoheit.« Vielleicht ist der König doch nicht ganz senil, vielleicht ist die Koskull wirklich seineGeliebte … Ich schaute sie an. Sie lachte und zeigte die starken, gesunden Zähne.
    Am Nachmittag des 6. Januar näherten wir uns endlich Stockholm. Die Straßen waren so vereist, dass unsere Pferde die Wagen bei der geringsten Steigung nicht schleppen konnten. Ich stieg mit den anderen aus und stapfte hinter den Kaleschen einher. Die Zähne biss ich zusammen, um nicht zu schreien. So sehr peitschte der eisige Wind mein Gesicht. Oscar dagegen störte die Kälte überhaupt nicht. Er lief neben den Kutschern und hielt ein Pferd am Zaum und sprach auf das arme Tier ein. Die Landschaft um uns war weiß. Keine frisch gewaschene Bettdecke, Persson, sondern ein Leichentuch, ging es mir durch den Kopf. Dabei fiel mir plötzlich Duphot ein. Seit Jahren hatte ich nicht mehr an den erschossenen General gedacht, der mich heiraten wollte. Der erste Tote, den ich gesehen habe. Das erste Leichentuch. Wie warm war es damals in Rom, wie warm … »Wie lange dauert bei Ihnen der Winter, Baron Adelswärd?« Der eisige Wind riss mir die Worte vom Mund. Ich musste mehrmals fragen. »Bis April«, kam die Antwort. Im April blühen in Marseille die Mimosen.
    Dann saßen wir wieder in unserem Wagen. Oscar bestand darauf, neben dem Kutscher auf dem Bock zu sitzen. »Dann kann ich Stockholm besser sehen, wenn wir ankommen, Mama.« »Es beginnt doch schon zu dunkeln, Liebling«, sagte ich. Es schneite so stark, dass man überhaupt nichts mehr sehen konnte. Schließlich versank alles in Dunkelheit. Manchmal strauchelte eines der Pferde auf der vereisten Straße. Da hielt mein Wagen mit einem Ruck an. Roter Fackelschein flackerte auf, der Schlag wurde aufgerissen. »Désirée!« Jean-Baptiste war mir in einem Schlitten entgegengefahren, dem Fackelträger voranritten. »Wir sind nur eine Meile von Stockholm entfernt, nur noch ein Weilchen, dann bist du zu Hause, kleines Mädchen!«
    »Ich darf doch in deinem Schlitten weiterfahren, Papa? Ich bin noch nie in einem Schlitten gefahren!« Graf Brahe und die Lewenhaupt setzten sich in einen anderen Wagen. Jean-Baptiste stieg zu mir ein. Im Dunkel der Kalesche drückte ich mich an ihn. Aber wir waren nicht allein. Die Koskull saß uns gegenüber. Ich spürte seine Hand in meinem Muff. »Du hast so kalte Hände, kleines Mädchen.« Ich wollte lachen und musste

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