Désirée
Nebel. »Kronprinsessan, Arveprinsen …!« Es waren viele Stimmen, sie schrien im Takt. Aber der Nebel verschlangdie Gesichter des Volkes hinter dem Kordon Soldaten. Ich unterschied nur die Züge der Hofbeamten. Starr, ohne zu lächeln, musterten sie mich. Musterten das Kind. Mein Lachen fror ein.
Der Landgang wurde angelegt. Die schwedische Hymne, die ich bereits kenne, dröhnte auf. Kein mitreißendes Schlachtlied wie die Marseillaise. Sondern ein Choral – fromm, hart, feierlich. Graf Brahe lief an mir vorbei und sprang an Land. Seine Hand streckte sich mir entgegen. Schnell und unsicher ging ich auf die Hand zu. Fühlte sie dann unter meinem Arm, fühlte festen Boden unter meinen Füßen, stand zuerst allein und spürte dann Oscar dicht neben mir. Die leuchtenden Blumen – es waren Rosen – kamen auf mich zu. Ein hagerer alter Mann in schwedischer Marschallsuniform überreichte sie mir. »Der Generalgouverneur von Schonen, Graf Johan Kristofer Toll«, flüsterte Graf Brahe. Helle Greisenaugen spähten abweisend in mein Gesicht. Ich nahm ihm die Rosen ab, und der alte Mann beugte sich über meine Rechte. Dann neigte er tief das Haupt vor Oscar. Ich sah die Damen in ihren seidenen, mit Hermelin und Nutria verbrämten Hüllen im tiefen Hofknicks. Die gebeugten Uniformrücken. Es begann zu schneien. Schnell gab ich einem nach dem anderen die Hand, die fremden Gesichter zwangen sich zu einem formellen Lächeln. Das Lächeln vertiefte sich und wurde natürlicher, als Oscar ihnen die Hand reichte. Graf Toll hieß mich in hartem Französisch willkommen. Schneeflocken wirbelten plötzlich um uns. Ich wandte den Kopf und sah Oscar an. Ganz verzückt blickte er in das wirbelnde Treiben. Wieder die Hymne – so fremd, so feierlich. Schneeflocken legten sich auf mein Gesicht, während ich, ohne mich zu rühren, im Hafen von Hälsingborg stand. In dem Augenblick, in dem die Hymne verklang, schnitt Oscars Kinderstimme durch die Stille: »Wir werden hier sehrglücklich sein, Mama – schau nur, es schneit!« Wie kommt es, dass mein Kind immer im richtigen Augenblick das Richtige sagte oder tut? Genauso wie sein Vater. Der alte Mann bot mir den Arm, um mich zu den wartenden Hofkaleschen zu begleiten. Graf Brahe blieb dicht hinter mir. Ich sah den abweisenden alten Mann an, sah die fremden Gesichter hinter ihm, sah die hellen, harten Augen, die kritisch durchdringenden Blicke. »Ich bitte Sie, immer gut zu meinem Kind zu sein«, sagte ich tonlos. Die Worte standen nicht im Programm, sie waren mir entschlüpft und wahrscheinlich taktlos und gegen die Etikette. Ein erstaunter, sehr erstaunter Ausdruck glitt über alle Gesichter, gerührt und hochmütig zugleich. Ich spürte die Schneeflocken in meinen Wimpern, auf meinen Lippen, und niemand sah, dass ich weinte. Am gleichen Abend, als ich mich entkleidete, erklärte Marie: »Habe ich nicht Recht gehabt, Eugénie? Ich meine mit den wollenen Unterhosen. Den Tod hättest du dir bei dieser Zeremonie im Hafen holen können!«
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Im Königlichen Schloss in
Stockholm, während des endlosen
Winters 1811.
D iese Fahrt von Hälsingborg nach Stockholm schien kein Ende zu nehmen. Wir reisten bei Tag und tanzten abends Quadrille. Ich weiß nicht warum, aber hier tanzen die Adeligen ununterbrochen Quadrille und glauben, sich hier wie am Hof von Versailles aufzuführen. Dann fragen sie mich, ob ich mich zu Hause fühle, und ich lächle und zucke nur die Achseln. Ich weiß nichts vom Hof in Versailles, das alles war vor meiner Zeit, und außerdem – Papa ist doch nicht einmal Hoflieferant gewesen! Bei Tag hielt unser Wagen in verschiedenen Städten, und wir stiegen aus, und die Schulkinder sangen, und der Bürgermeister hielt in einer mir unverständlichen Sprache eine Rede. »Wenn ich nur Schwedisch könnte!«, seufzte ich einmal. »Wieso? Der Bürgermeister spricht doch Französisch, Hoheit«, flüsterte mir Graf Brahe zu. Wahrscheinlich hatte er Recht, aber dieses Französisch klang wie eine fremde Sprache. Es schneite. Es schneite ununterbrochen, und die Temperatur fiel auf minus 24 Grad. Meistens saß meine neue Hofdame neben mir. Diese Gräfin Lewenhaupt, schlank und nicht mehr ganz jung, und besessen von der Begier, mit mir über alle französischen Romane, die in den letzten zwanzig Jahren erschienen sind, zu plaudern. Manchmal ließ ich auch das Fräulein Koskull in meinem Wagen reisen. Das Hoffräulein ist in meinem Alter, sehr groß und breit wie die meisten Schwedinnen,
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