Désirée
glauben …
Ich wollte, wir bekämen öfters Champagner zu trinken. Champagner prickelt auf der Zunge und schmeckt süß, und schon nach dem ersten Glas musste ich immerfort lachen und wusste nicht, warum. Nach dem dritten Glas sagte Mama: »Dem Kind darf niemand mehr einschenken!« Wenn sie wüsste, dass ich schon geküsst wurde.
Heute Morgen musste ich ganz zeitig aufstehen und hatte bis jetzt keine Gelegenheit, mit mir allein zu sein. Deshalb bin ich, sobald Napoleone sich verabschiedete, inmein Zimmer gerannt und schreibe jetzt in mein Buch. Aber meine Gedanken laufen wie Ameisen durcheinander und tragen auch – genauso wie Ameisen – kleine Lasten. Ameisen schleppen sich mit Fichtennadeln, Zweiglein oder einem Klümpchen Sand ab, meine Gedanken balancieren winzige Zukunftsträume. Aber ich lasse meine Gedankenklümpchen immer gleich fallen, weil ich Champagner getrunken habe und mich nicht richtig konzentrieren kann.
Ich weiß gar nicht, wie es kommt, aber ich hatte in den letzten Tagen völlig vergessen, dass unser Schwede, dieser Monsieur Persson, heute abreisen sollte. Seit die Buonapartes uns besuchen, habe ich mir nicht mehr viel Zeit für ihn genommen. Ich glaube, er kann Joseph und Napoleone nicht ausstehen. Als ich ihn fragte, was er über unsere neuen Freunde denke, sagte er nur, dass er sie schwer versteht, weil sie so schrecklich viel und schrecklich schnell sprechen und außerdem eine andere Aussprache haben als wir. Das leuchtet mir ein, der korsische Akzent ist zu viel für ihn! Gestern Nachmittag sagte er mir, dass er seine Reisetaschen gepackt habe und heute früh die Postkutsche um neun nehmen werde. Ich beschloss natürlich, ihn zu begleiten, denn erstens habe ich das Pferdegesicht wirklich gern, und zweitens macht es mir Spaß, zur Postkutsche zu gehen. Dort sieht man nämlich immer neue Leute und manchmal Damen in Pariser Toiletten. Aber dann vergaß ich natürlich Persson und seine Reisevorbereitungen, weil ich doch über meinen ersten Kuss nachdenken musste.
Zum Glück fiel mir heute früh gleich beim Aufwachen Perssons Abreise ein. Ich fuhr aus dem Bett, sprang in mein Unterkleid und die beiden Unterröcke, warf irgendein Kleid über, nahm mir kaum Zeit, mich zu frisieren, und lief ins Esszimmer hinunter. Dort fand ich Persson beim Abschiedsfrühstück. Mama und Etienne flatterten um ihnherum und redeten ihm zu, möglichst viel zu essen. Der arme Mann hat doch eine schrecklich weite Reise vor sich. Zuerst bis an den Rhein und dann durch Deutschland nach Lübeck und von dort mit einem Schiff nach Schweden. Ich weiß gar nicht, wie viele Male er die Postkutsche wechseln muss, um Lübeck zu erreichen. Marie hatte ihm einen Picknickkorb mit zwei Flaschen Wein und einem gebratenen Hühnchen und harten Eiern und Kirschen zurechtgemacht. Schließlich nahmen Etienne und ich Monsieur Persson in die Mitte und marschierten mit ihm zur Postkutsche. Etienne trug eine der Reisetaschen, und Persson kämpfte mit einem großen Paket, der anderen Tasche und dem Picknickkorb. Ich bat ihn, mich etwas tragen zu lassen, und schließlich reichte er mir widerstrebend das Paket und sagte, dass es etwas sehr Kostbares enthalte. »Die schönste Seide, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe«, vertraute er mir an. »Seide, die Ihr seliger Herr Papa noch selbst eingekauft und seinerzeit für die Königin in Versailles bestimmt hat. Aber die Ereignisse verhinderten die Königin –« »Ja, wirklich königliche Seide«, ließ sich jetzt Etienne vernehmen. »Und in all diesen Jahren habe ich diesen Brokat niemandem angeboten. Papa sagte immer, dass er sich nur für eine Hoftoilette eigne.«
»Aber die Damen in Paris gehen doch noch immer elegant gekleidet«, warf ich ein. Etienne schnaufte verächtlich. »Die Damen in Paris sind keine Damen mehr! Außerdem bevorzugen sie ganz durchsichtige Musselinstoffe. Wenn du das elegant nennst …! Nein, ein schwerer Brokat ist im heutigen Frankreich nicht mehr am Platz.«
»Nun habe ich mir gestattet, die Seide zu kaufen«, wandte sich Persson zu mir. »Ich habe mir einen großen Teil meines Gehaltes bei der Firma Clary aufsparen können und bin froh, dass ich ihn dafür verwenden konnte.Eine Erinnerung –« Er schluckte gerührt. »Eine Erinnerung an Ihren verstorbenen Papa und die Firma Clary.« Ich bewunderte Etienne. Da er in Frankreich diesen schweren Brokatstoff, der sicherlich sehr wertvoll, aber momentan völlig unmodern ist, nicht verkaufen kann, hat er ihn
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