Désirée
richtigen Seite stehen, wenn sie mich heute besuchen, so bedeutet es, dass Napoleon diesen Krieg verlieren wird. Irgendwann, irgendwie, während die Siegesglocken in Paris läuten. Jean-Baptiste hat eingegriffen und sichert einem kleinen Land im Norden seine Freiheit. Aber Pierre erfriert und Villatte verblutet. Talleyrand war der Erste, der sich verabschiedete. Fouché dagegen wartete noch. Da saß er und kaute Marzipan, fuhr sich mit der Zunge in die Lücken zwischen den langen gelben Zähnen, sah das Porträt Napoleons an und schien sehr zufrieden zu sein. Womit? Mit dem neuen Sieg? Mit sich selbst, weil er in Ungnade gefallen war? Erst als die Glocken verstummten, erhob er sich. »Es geht um das Wohl des französischen Volkes, und das Volk sehnt sich nach Ruhe«, verkündete er. Ich konnte keinen Doppelsinn in seinen leeren Worten finden. »Der schwedische Kronprinz und ich haben das gleiche Ziel – den Frieden!«, fügte er noch hinzu. Er beugte sich über meine Hand, seine Lippen waren klebrig, schnell zog ich die Hand zurück. Ich trat in den Garten hinaus und setzte mich auf die Bank. Die Rosen waren längst verblüht, der Rasen abgestorben. Plötzlich hatte ich Angst vor meinem Haus und allen Erinnerungen. Ichhatte begriffen und konnte es noch nicht fassen. In meiner Angst ließ ich anspannen. Als ich in die Kutsche steigen wollte, stand Graf von Rosen bereits am Schlag. Ich vergesse so oft, dass ich einen Personaladjutanten habe, ich wäre jetzt gern allein gewesen … Wir fuhren die Seine entlang. Irgendwann bemerkte ich, dass von Rosen mir etwas erzählte. Er unterbrach sich durch eine Frage. »Dieser Herzog von Otranto – so heißt er doch, nicht wahr?«
»Ja, der ehemalige Fouché, der Kaiser hat ihn geadelt. Was ist mit ihm?« – »Dieser Otranto weiß Einzelheiten über die Besprechung in Abo. In der Vorhalle hat er mir alles berichtet. Seine Hoheit wurde von Kanzler Wetterstedt und Reichsmarschall Adlercreutz begleitet. Löwenhjelm war auch mit …« Ich nickte. Diese Namen sagen mir so wenig. »Zuerst war der Zar mit Seiner Hoheit allein, später hat auch ein englischer Botschafter an den Besprechungen teilgenommen. Man nimmt an, dass Seine Hoheit eine Allianz zwischen England und Russland zustande bringen wird. Die entscheidende Allianz gegen Napoleon, Hoheit. Es heißt, dass auch Österreich heimlich –«
»Der Kaiser von Österreich ist doch Napoleons Schwiegervater«, wandte ich ein. »Das bedeutet nichts, Hoheit. Napoleon hat ihn ja dazu gezwungen. Freiwillig hätte ein Habsburger niemals diesen Parvenu in seine Familie aufgenommen.« Der Wagen rollte langsam, aus dem tiefblauen Abend ragten schwarz die Türme von Notre-Dame. »Ich war dabei, Graf von Rosen, als dieser Parvenu, wie Sie den Kaiser der Franzosen zu nennen belieben, dem Papst die Krone aus der Hand nahm und sich aufs Haupt setzte. Ich stand hinter der schönen Josephine und habe ein Samtkissen mit einem Spitzentaschentuch gehalten. Hier – in dieser Kathedrale, Graf.« Weiße Zeitungsfetzen schwammen in der Gosse. Extra-Ausgaben des »Moniteur«, die den neuen Sieg meldeten. Morgen wird sie derStraßenkehrer in den Rinnstein fegen. Gleichgültig saßen die Leute vor ihren Haustoren, sie waren an Siege gewöhnt und sehnten sich nur nach ihren Söhnen. Es war alles wie immer, nur mein Herz krampfte sich zusammen vor Traurigkeit. »Vielleicht werden sie wirklich zurückkommen, wenn alles vorüber ist. Die Bourbonen nämlich«, meinte der blonde Graf gleichmütig. Ich sah ihn von der Seite an: klassisch geformtes Gesicht, sehr helle Haut, sehr helle Haare, knabenhaft schmale Schultern. Wir fuhren über den Pont Royal. Marie-Louises Fenster waren erleuchtet. »Ich werde Sie der Kaiserin Josephine vorstellen, Graf«, sagte ich plötzlich. – Nach der Scheidung hat sie zwei Tage und zwei Nächte lang geweint. Dann ließ sie ihr Gesicht massieren und bestellte drei neue Toiletten. Silberne Augenlider, Lächeln mit geschlossenen Lippen. Napoleon hat um ihretwillen den Italienern das Bild der Mona Lisa gestohlen. Ich werde dem kleinen schwedischen Grafen die schönste Frau von Paris zeigen. Und Josephine fragen, wie ich mein Gesicht schminken soll. Wenn den Schweden schon eine Parvenu-Kronprinzessin beschieden ist, so sollte es doch wenigstens eine schöne sein … Als wir nach Hause kamen, ging ich gleich in mein Zimmer und begann zu schreiben. Wie lange werde ich noch so allein sein? Soeben kam Marie herein und fragte: »Ist
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