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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Konsul stehen. »Ja, sohat er damals ausgesehen. Die langen Haare, die eingefallenen Wangen, jetzt –«
    »Jetzt wird er fett«, sagte ich. »Stell dir nur vor – Einmarsch in Moskau, Napoleon im Kreml! Wenn man nachdenkt, wird einem ganz schwindlig.«
    »Denk nicht nach, Julie. Leg dich lieber nieder, du siehst so müde aus.«
    »Ich habe solche Angst vor dem Fest. Wenn nur alles klappt!« Schandfleck der Familie. Ich dachte an Mama … Wenn nur alles klappt. Erst, wenn man keine Eltern mehr hat, ist man wirklich erwachsen. So unheimlich allein und erwachsen.
    Die hohen Bronzekandelaber im Élysée-Palais strahlten. Ich spürte, dass hinter meinem Rücken getuschelt wurde, wie sich Köpfe nach mir umwandten. Aber mein Rücken wurde von der hoch gewachsenen Gestalt des jungen Grafen von Rosen gedeckt, und die Blicke trafen mich nicht. Dann wurde die Marseillaise gespielt. Beim Eintritt der Kaiserin verneigte ich mich weniger tief als die anderen Damen. Ich bin Mitglied eines regierenden Hauses. Marie-Luise – in Rosa, noch immer, schon wieder in Rosa – blieb vor mir stehen. »Ich höre, dass ein neuer österreichischer Botschaft in Stockholm eingetroffen ist, Madame«, sagte sie. »Ein Graf Neipperg. Haben Sie sich den Grafen vorstellen lassen, Madame?« – »Er dürfte erst nach meiner Abreise angekommen sein, Majestät«, antwortete ich und suchte in dem ausdruckslosen Puppengesicht zu lesen. Seit der Geburt des kleinen Königs von Rom ist Marie-Luise noch voller geworden. Sie scheint sich sehr einzuschnüren, kleine Schweißtropfen standen auf der kurzen Nase. »Ich habe als junges Mädchen mit dem Grafen Neipperg getanzt. Auf meinem ersten Hofball.« Ihr Lächeln vertiefte sich, wurde persönlich. »Es war übrigens mein erster und letzter Hofball in Wien. Kurz darauf habe ich jageheiratet.« Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Sie schien irgendetwas zu erwarten und tat mir plötzlich Leid. Seit sie denken kann, hat sie gehört, dass Napoleon ein Emporkömmling, ein Tyrann und ein Feind ihrer Heimat ist. Dann wurde sie plötzlich mit ihm verheiratet und von ihm vergewaltigt. »Stellen Sie sich vor, der Graf hat nur ein Auge. Über dem anderen trägt er eine schwarze Binde«, kam es nachdenklich. »Und trotzdem – trotzdem habe ich den Grafen Neipperg in angenehmer Erinnerung. Wir haben Walzer getanzt.« Damit verließ sie mich, und mir fiel die Nacht ein, in der Napoleon Walzerschritte geübt hatte. Eins, zwei, drei – und eins, zwei, drei … Um Mitternacht wurde wieder die Marseillaise geschmettert. Dann trat Joseph neben die Kaiserin und hielt ein Sektglas hoch. »Am 15. September ist Seine Majestät an der Spitze der glorreichsten Armee aller Zeiten in Moskau eingezogen und hat im Kreml, dem Schloss des Zaren, Aufenthalt genommen. Unsere siegreiche Armee wird in der Hauptstadt unseres niedergeworfenen Feindes überwintern. Vive l’Empereur!« Ich trank mein Glas aus. Schluck für Schluck. Talleyrand tauchte vor mir auf. »Hat man Hoheit gezwungen, zu erscheinen?«, fragte er und warf einen Blick auf Joseph. Ich zuckte mit den Achseln. »Mein Erscheinen oder Nichterscheinen ist ohne Bedeutung, Exzellenz. Ich verstehe nichts von Politik.«
    »Wie seltsam, dass das Schicksal gerade Sie dazu ausersehen hat, eine so bedeutungsvolle Rolle zu spielen, Hoheit!«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte ich erschrocken. »Vielleicht werde ich mich einmal mit einer entscheidenden Bitte an Sie wenden, Hoheit. Vielleicht werden Sie mir diese Bitte erfüllen. Ich werde diese Bitte im Namen Frankreichs an Sie richten.« – »Sagen Sie einmal – wovon sprechen Sie eigentlich?« »Ich bin sehr verliebt, Hoheit.Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken, Sie missverstehen mich – ich bin in Frankreich verliebt, Hoheit. In – unser Frankreich.« Er ließ einen Schluck Champagner auf der Zunge zergehen. »Ich habe kürzlich Hoheit gegenüber erwähnt, dass der Kaiser nicht mehr gegen einen Unbekannten, sondern gegen einen guten Bekannten ins Feld zieht. Hoheit erinnern sich doch noch? Und heute Abend feiern wir den Einzug des Kaisers in Moskau. Die große Armee hat endlich ihre Winterquartiere in der russischen Hauptstadt bezogen. Hoheit, glauben Sie, dass dies unseren guten Bekannten überrascht?« Meine Hand presste sich um den Stiel des Champagnerglases. »Mein Bruder dürfte sich im Kreml sehr wohl fühlen, das Schloss des Zaren soll mit orientalischer Pracht ausgestattet sein«, sagte jemand dicht neben

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