Désirée
kann es nicht vergessen. Sicherlich hat er zugeschaut … »Ich freue mich, Sie wieder zu sehen, Prinzessin«, sagte ich unwillkürlich. »Wieder zu sehen?« Theresas Augen wurden so weit, wie es die Fettpolster der Wangen erlaubten. »Ich habe noch nicht die Ehre gehabt, Hoheit vorgestellt zu werden.«
»Désirée, die Kaiserin hat Ihnen ja Goldschminke auf die Augenlider geschmiert!«, kam es vom Kamin. Polette, zerbrechlich mager, mit den rosa Perlen der Fürstin Borghese behangen, musterte mich. »Aber es steht Ihnen! Sagen Sie einmal, kleine neue Kronprinzessin von Schweden, ist Ihr Adjutant dort am Fenster taubstumm?«
»Nein, nur stumm, Kaiserliche Hoheit«, stieß von Rosen wütend hervor. Sofort erkannte ich, dass es ein Fehler gewesen war, den jungen Schweden hierher zu bringen. Schnell legte Josephine ihre schmale Hand auf seinen Arm.Ganz leicht nur, aber von Rosen zuckte zusammen. »Wenn es aufhört zu regnen, werde ich ihnen den Garten zeigen. Bei mir blühen noch im Dezember die Rosen. Sie lieben doch Rosen, nicht wahr? Sie führen ja denselben Namen …« Dabei blickte sie ihn schelmisch von unten herauf an, lächelte, ohne die schlechten Zähne zu zeigen, und tauchte ihren Blick in seine Augen. Weiß der Himmel, wie sie das macht … Dann wandte sie sich den anderen zu. »Was schreibt Graf Flahault aus Russland, Hortense?« Hortenses Geliebter ist Adjutant des Kaisers. Seitdem sie nicht mehr mit dem dicken Louis lebt, wird ihre Beziehung im Salon ihrer Mutter ruhig anerkannt. »Er marschiert an der Seite des Kaisers durch den Schnee«, sagte Hortense stolz. »Bonaparte marschiert durch den Schnee! Wahrscheinlich fährt er in einem Schlitten, und dein Flahault schreibt lauter Unsinn zusammen.« »Graf Flahault teilt mir mit, dass er seit Smolensk neben dem Kaiser marschiert. Der Kaiser ist gezwungen, zu Fuß zu gehen, weil beinahe alle Pferde erfroren sind. Erfroren oder von den hungrigen Truppen erschossen und aufgegessen, Mama. Der Kaiser trägt den Pelzmantel, den er seinerzeit vom Zaren zum Geschenk erhalten hat, und eine Mütze aus Persianerfell. Er stützt sich beim Gehen auf einen Stock. Er wird von lauter Generälen, die ihre Regimenter verloren haben, begleitet. Er geht zwischen Murat und dem Grafen Flahault.«
»Blödsinn, sein treuer Meneval marschiert neben ihm!«, warf Josephine ein. Hortense blätterte in ihrem mehrere Seiten langen Brief. »Meneval ist an Erschöpfung zusammengebrochen und wurde auf einen Wagen mit Verwundeten verladen.« Da wurde es sehr still im Zimmer. Ein Holzscheit im Kamin krachte, und trotzdem froren wir. »Ich werde morgen einen Bittgottesdienst abhalten lassen«, murmelte Josephine und bat Theresa, einen großenStern für Bonaparte zu legen. Notre Dame sammelte todernst ihre Karten, teilte sie in zwei Stöße und bemerkte zu Josephine: »Bonaparte ist wie immer Herzkönig.« Dann musste Josephine von beiden Häufchen abheben. Theresa runzelte feierlich die Stirn und legte die Karten in Form eines Sternes auf. Josephine hielt vor Spannung den Atem an. Hortense war aufgestanden und hinter sie getreten, die lange Nase hing ungepudert und traurig auf die Oberlippe. Polette schmiegte sich an mich und sah dabei den jungen Grafen an. Graf von Rosen dagegen ließ seine Blicke wandern und zweifelte sichtlich an unserem Verstand. – Theresa ist eine Künstlerin im Kartenaufschlagen. Nachdem sie den Stern gelegt hatte, blickte sie lange Zeit bedeutsam drein und schwieg. Schließlich konnte Josephine ihr Schweigen nicht mehr ertragen und flüsterte: »Nun?« »Schlecht steht es«, sagte Theresa mit hohler Stimme. Dann schwieg sie wieder lange nachdenklich. Zuletzt: »Ich sehe eine Reise.«
»Natürlich, der Kaiser kommt doch aus Russland zurück, er geht zwar zu Fuß, aber er macht trotzdem eine Reise«, warf Polette ein. Theresa schüttelte den Kopf. »Ich sehe eine andere Reise. Über ein Wasser. Eine Schiffsreise.« Lange Pause. »Nein, es sieht leider gar nicht gut aus.«
»Was ist mit mir«, wollte Josephine wissen. »Die Pik-Dame wird den Kaiser nicht begleiten. Bei dir wird sich nichts verändern. Ich sehe Geldsorgen. Aber das ist doch nichts Neues.« »Ich habe schon wieder Schulden bei Le Roy«, gestand Josephine. Da hob Theresa feierlich die Hand und verkündete: »Ich sehe eine Trennung von der Karo-Dame.«
»Das ist Marie-Luise«, flüsterte Polette mir zu. »Aber sie bedeutet nichts Gutes. Ich sehe überhaupt nichts Gutes.« Theresa machte ihre Stimme so
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