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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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müde die Pelzmütze ab. Von Rosen trug Caulaincourts Schafspelz hinaus. »Kommen Sie sofort zurück, Graf! Marie, bitte Cognac und Gläser!« Marie muss die Rolle einer Hofdame übernehmen, um diese Stunde kann ich Herren nicht allein empfangen. Auch nicht den Kaiser von Frankreich. Ihn schon gar nicht. Und Graf von Rosen muss Zeuge unseres Gespräches sein … »Ich bitte, Platz zu nehmen, Sire«, sagte ich und setzte mich auf das Sofa. Der Kaiser rührte sich nicht. Caulaincourt stand unschlüssig in der Mitte des Raumes. Graf von Rosen kam zurück, Marie brachte Cognac und Gläser. »Sire – ein Glas Cognac?« Der Kaiser hörte mich nicht. Worauf ich Caulaincourt fragend ansah. »Wir sind dreizehn Tage und Nächte ununterbrochen gereist«, murmelte Caulaincourt. »Man weiß noch gar nicht in den Tuilerien, dass wir zurück sind. Seine Majestät wollte zuerst mit Hoheit sprechen.« Das war phantastisch. Der Kaiser reist dreizehn Tage und Nächte lang, um sich wie ein Ertrinkender an meinem Kaminsims festzuhalten, und kein Mensch weiß, dass er in Paris ist. Ich schenkte ein Glas Cognac ein und trat dicht neben ihn. »Sire, trinken Sie das,dann wird Ihnen wärmer werden.« Ich sagte es sehr laut. Er hob auch wirklich den Kopf und sah mich an. Betrachtete meinen alten Schlafrock, betrachtete den Zobelpelz, den er mir selbst geschenkt hat, und stürzte dann mit einem Zug den Cognac hinunter. »Trägt man in Schweden immer einen Pelzmantel über dem Schlafrock?«, erkundigte er sich. »Natürlich nicht. Aber mir war kalt. Ich bin nämlich traurig. Wenn ich traurig bin, friere ich . Übrigens hat ihnen Graf von Rosen gemeldet, dass ichschon schlafen gegangen bin.« – »Wer?«
    »Mein Adjutant, Graf von Rosen. Kommen Sie, Graf, ich werde Sie Seiner Majestät vorstellen.« Graf von Rosen schlug die Sporen zusammen. Der Kaiser hielt ihm sein Glas entgegen: »Geben Sie mir noch einen Cognac! Auch Caulaincourt wird gern ein Glas trinken. Wir haben eine lange Reise hinter uns.« Er goss den Cognac wieder in einem Zuge hinunter. »Sie sind überrascht, mich hier zu sehen, Hoheit?« »Natürlich, Sire.«
    »Natürlich? Wir sind doch alte Freunde, Hoheit. Sehr alte Freunde sogar, wenn ich mich recht erinnere. Was überrascht Sie daher an meinem Besuch?«
    »Die späte Stunde, Sire. Und die Tatsache, dass Sie unrasiert zu mir kommen.« Napoleon fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln. Ein Schatten jenes jungen unbeschwerten Lachens aus den Tagen von Marseille glitt über das schlaffe, schwere Gesicht. »Verzeihen Sie, Hoheit, ich habe in den letzten Tagen vergessen, mich zu rasieren. Ich wollte möglichst schnell Paris erreichen.« Die Erinnerung an das Lachen verlöschte. »Wie ist die Wirkung meines letzten Bulletins?« »Vielleicht nehmen Sie endlich Platz, Sire«, schlug ich vor. »Danke, ich stehe lieber beim Kamin. Aber bitte, sich nicht stören zu lassen, Madame, setzen Sie sich doch, meine Herren!« Ich setzte mich wieder aufs Sofa. »Graf Caulaincourt –« Ich wies auf einen Fauteuil.»Graf von Rosen – bitte hier. Und du musst dich auch setzen, Marie.«
    »Graf Caulaincourt ist längst Herzog von Vicenza«, bemerkte Napoleon. Caulaincourt hob abwehrend die Hand, damit ich mich nicht entschuldigte. Dann fiel er in einen Lehnstuhl und schloss wieder die Augen. »Darf ich fragen, Sire –«, begann ich. »Nein! Sie dürfen nicht fragen, Madame. Sie dürfen ganz bestimmt nicht fragen, Madame Jean-Baptiste Bernadotte!«, brüllte er und wandte sich mir zu. Graf von Rosen zuckte erschreckt zusammen. »Ich möchte aber gern wissen, was mir die Ehre dieses unerwarteten Besuches verschafft, Sire«, sagte ich ruhig. »Mein Besuch ist keine Ehre für Sie, sondern eine Schande. Wenn Sie nicht Ihr Leben lang ein so kindisches, gedankenloses Geschöpf gewesen wären, so würden Sie erfassen, welche Schande dieser Besuch darstellt – Madame Jean-Baptiste Bernadotte!« »Bleiben Sie ruhig sitzen, Graf von Rosen, Seine Majestät ist anscheinend zu müde, um den richtigen Ton zu finden«, beschwor ich meinen jungen Schweden. Von Rosen war aufgesprungen, noch dazu mit der Hand am Säbel. Mehr hätte mir in dieser Nacht nicht gefehlt … Der Kaiser überhörte es. Er trat näher und starrte das Porträt an, das über mir hing. Das Porträt des Ersten Konsuls. Das Porträt des jungen Napoleon mit dem hageren Gesicht, den strahlenden Augen, dem unordentlichen Haar, das bis auf die Schultern herabhing. Hastig, tonlos begann er zu

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