Désirée
unheimlich wie nur möglich. »Übrigens – was kann der Herzbub bedeuten?Der Herzbub liegt nämlich zwischen ihm und dem Treffbuben. Der Treffbub ist Talleyrand …«
»Neulich war es Fouché«, bemerkte Hortense.
»Der Herzbub ist vielleicht der kleine König von Rom. Bonaparte kehrt zu seinem Kind zurück«, schlug Josephine vor. Theresa warf die Karten zusammen und begann in rasender Geschwindigkeit zu mischen. Dann teilte sie sie wieder in zwei Häufchen und legte einen neuen Stern. »Nichts zu machen, da haben wir wieder die Seereise, finanzielle Sorgen, Verrat der –« Sie brach ab. »Verrat der Karo-Dame?«, fragte Josephine atemlos. Theresa nickte. »Und ich?«, beharrte Josephine. »Ich verstehe es nicht. Nichts liegt mehr zwischen der Pik-Dame und dem Kaiser. Und trotzdem –« Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Trotzdem kommt er nicht zu ihr, ich weiß wirklich nicht, warum, liebste Josephine. Und da haben wir wieder den Herzbuben. Neben dem Kaiser, immer neben dem Kaiser! Treff-Sieben und Treff-Ass können nicht an ihn heran, weil der Herzbub sie abhält. Das kann nicht das Kind, der kleine König von Rom sein, es muss sich um einen Erwachsenen handeln. Aber um wen?« Ratlos blickte sie sich im Kreis um. Wir wussten keine Antwort. Schließlich beugte sie sich wieder grübelnd über die Karten. »Es könnte ja auch ein weibliches Wesen sein – ein Mädchen vielleicht, das der Kaiser nicht als Frau behandelt – jemand, der ihn sein Leben lang begleitet hat und in der Not nicht im Stich lässt, vielleicht –« »Désirée! Natürlich – der Herzbub ist Désirée«, rief Polette. Verständnislos starrte mich Theresa an. Josephine jedoch nickte heftig. »Das könnte stimmen. Der kleine Kamerad. Ein junges Mädchen von einst. Ich glaube wirklich, dass es Ihre Königliche Hoheit ist.«
»Bitte lassen Sie mich aus dem Spiel«, sagte ich hastig und schämte mich vor dem Grafen Rosen. Josephineverstand mich. »Genug für heute!«, sagte sie und ging auf den Grafen zu. Ich glaube, es hat aufgehört zu regnen. Ich werde ihnen die gelben Rosen und die Glashäuser zeigen.« Abends fuhren wir nach Paris zurück. Es regnete wieder. »Ich fürchte, Sie haben sich in Malmaison sehr gelangweilt, Graf von Rosen. Dabei wollte ich Sie der schönsten Frau von Frankreich vorstellen.«
»Die Kaiserin Josephine ist sicherlich sehr schön gewesen – früher einmal«, antwortete der junge Mann höflich. Sie ist in einer einzigen Nacht gealtert, dachte ich. Ich werde auch einmal altern, mit oder ohne Goldschminke auf den Augenlidern. Hoffentlich nicht über Nacht. Aber das hängt von Jean-Baptiste ab … »Die Damen in Malmaison sind ganz anders als unsere Damen in Stockholm«, bemerkte von Rosen plötzlich. »Sie sprechen von ihren Gebeten und ihren Liebesabenteuern.«
»Man betet und liebt doch auch in Stockholm.«
»Natürlich. Aber man spricht nicht davon!«
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Paris, 19. Dezember 1812.
S eit meinem Besuch in Malmaison regnet es ununterbrochen. Aber trotz des Regens stehen in diesen Tagen die Leute an allen Straßenecken herum und lesen einander aus aufgeweichten Zeitungsblättern das 29. Bulletin vor und versuchen sich vorzustellen, dass ihre Söhne in Russland erfroren sind. An allen Straßenecken warten sie auf Trost und neue Nachrichten. Sie warten vergebens. Ich kenne keine einzige Familie, die nicht einen nahen Verwandten in Russland weiß. In allen Kirchen werden Bittgottesdienste abgehalten. Gestern Abend konnte ich nicht schlafen gehen. Rastlos wanderte ich von einem Zimmer ins andere. Moreaus ehemaliges Haus war kalt, einsam und viel zu groß für mich allein. Schließlich hängte ich mir den Zobelpelz Napoleons über den Schlafrock, setzte mich an den Schreibtisch im kleinen Salon und versuchte, an Oscar zu schreiben. Marie saß in einer Ecke und strickte an einem grauen Schal. Seitdem sie von der eisigen Kälte der russischen Steppe gehört hat, strickt sie diesen Schal für Pierre. Wir haben keine Nachricht von ihm. Die Nadeln klappern, Maries Lippen bewegen sich lautlos. Ab und zu raschelt ein Zeitungsblatt. Graf von Rosen liest dänische Zeitungen, schwedische sind seit Tagen nicht mehr zu bekommen. Jetzt studiert er die dänischen Hofnachrichten. Die La Flotte und die Dienerschaft waren längst schlafen gegangen. Ich klammerte mich an den Gedanken an Oscar. Ich wollte ihm schreiben, dass er beim Eislaufen aufpassen soll, damit er sich kein Bein bricht. Wenn er hier wäre – wenn er hier
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