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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Offiziere und Unteroffiziere an die Front, da es an erfahrenen Leuten mangelt. Die Stimmung erinnertmich an die Tage der jungen Republik, in denen es galt, die Grenzen irgendwie zu halten. Auch diesmal spürt man, dass es in Wirklichkeit nur um die Grenzen geht. Aber Kinder werden einberufen, und Kinder singen die Marseillaise, während an allen Straßenecken die Krüppel lehnen und die Spitäler noch immer überfüllt sind. Die Frauen mit den Marktkörben sehen grau und müde aus. Schlaflose Nächte, grenzenlose Angst, Warten, Wiedersehen und Abschiednehmen haben ihnen die guten Jahre ihres Lebens gestohlen. Unten in meinem Garten hat Pierre seine Limonade ausgetrunken. Marie stellt das Glas auf den Rasen und setzt sich zu ihrem Sohn. Sie legt den Arm um ihn, um seinen Rücken zu stützen. Das abgefrorene linke Bein wurde in der Hüfte amputiert. Am Stumpf des rechten, das oberhalb vom Knie abgenommen werden musste, wird hoffentlich ein Holzbein befestigt werden können. Wenn die Wunde verheilt ist. Aber die Wunde will nicht verheilen. Wenn Marie den Verband wechselt, weint Pierre wie ein Kind vor Schmerz. Ich habe ihm Oscars Zimmer überlassen. Marie schläft bei ihm. Aber ich muss für ihn einen Raum im Erdgeschoss finden, es ist so mühsam, ihn immer die Stiegen hinauf- und hinunterzutragen.
    In den Abendstunden hat mich Talleyrand besucht. Angeblich nur, um sich wieder einmal zu erkundigen, ob ich mich nicht zu einsam fühle. »Ich wäre doch in diesem Sommer auf jeden Fall allein, ich bin leider gewohnt, meinen Mann an der Front zu wissen.« Er nickte: »Ja – an der Front. Unter anderen Umständen wären Hoheit zwar allein, aber – nicht einsam.« Ich zuckte die Achseln. Wir saßen im Garten, und die La Flotte schenkte kalten Champagner ein. Talleyrand erzählte, dass Fouché wieder einen Posten hat: Gouverneur von Illyrien. Illyrien ist ein italienischer Staat, den der Kaiser nur errichtet hat, um Fouchéhinzuschicken. »Intrigen in Paris kann sich der Kaiser heute nicht mehr leisten«, stellte Talleyrand fest. »Und Fouché würde intrigieren.«
    »Und Sie – Sie fürchtet der Kaiser nicht, Exzellenz?«
    »Fouché intrigiert, um Macht zu gewinnen oder zu behalten. Ich dagegen, meine liebe Hoheit, wünsche nichts anderes als das Wohl Frankreichs.« Ich sah zu, wie der erste Stern aufflammte, der Himmel war aus blauem Samt, es war noch immer so heiß, dass man kaum atmen konnte.
    »Wie schnell unsere Verbündeten abgefallen sind, wie schnell«, bemerkte Talleyrand zwischen zwei Schlucken. »Zuerst die Preußen. Die stehen übrigens unter dem Oberbefehl des Herrn Gemahls. Der Herr Gemahl hat sein Hauptquartier in Stralsund aufgeschlagen und befehligt die Nordarmee der Alliierten.« Ich nickte. Von Rosen hat es mir erzählt. »Im ›Moniteur‹ steht, dass der Kaiser von Österreich zu vermitteln versucht, damit ein Waffenstillstand zwischen Frankreich und Russland geschlossen wird«, sagte ich schließlich. Talleyrand reichte der La Flotte sein leeres Glas. »Österreich hat vermittelt, um Zeit zur Aufrüstung zu gewinnen.«
    »Der österreichische Kaiser ist doch der Vater unserer Kaiserin«, sagte Madame La Flotte scharf. Talleyrand überhörte den Einwurf und betrachtete sein halb volles Glas. »Wenn Frankreich erst einmal geschlagen ist, werden sämtliche alliierten Staaten versuchen, sich auf unsere Kosten zu bereichern. Österreich will natürlich nicht leer ausgehen und schließt sich schnell noch den Alliierten an.« Mein Mund war trocken. Ich musste schlucken, bevor ich sprach.
    »Der österreichische Kaiser kann doch nicht gegen seine eigene Tochter und sein Enkelkind Krieg führen!«
    »Nicht? Aber meine liebe Hoheit, er führt bereits Krieg gegen sie!« Er lächelte. »Es steht nur nicht im ›Moniteur‹,Madame.« Ich rührte mich nicht. »Die alliierten Heere haben 800000 Mann unter Waffen und der Kaiser kaum die Hälfte«, berichtete er freundlich. »Aber Seine Majestät ist ein Genie!«, sagte die La Flotte mit zitternden Lippen. Es klang wie ein auswendig gelerntes Sprüchlein. Talleyrand hielt ihr sein leeres Glas hin. »Sehr richtig, Madame – Seine Majestät ist ein Genie.« Die La Flotte schenkte nach. »Übrigens hat der Kaiser die mit uns verbündeten Dänen gezwungen, Schweden den Krieg zu erklären. Der Herr Gemahl hat die Dänen im Rücken, Hoheit«, plauderte Talleyrand weiter. »Er wird sich zu helfen wissen«, sagte ich ungeduldig und dachte – ich muss Pierre eine

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