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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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wirklich ganz einfach.«
    »Aber lutschen Sie auch an den Klötzchen?«, fragte ich und betrachte erstaunt das zerbissene Stück Holz in meiner Hand. »Nein, das ist wiederum der kleine König von Rom. Sobald er in mein Kabinett gebracht wird, zieht er sofort die bunten Hölzchen hervor, er weiß, wo ich sieaufbewahre. Dann stellen wir sie zusammen auf, mein kleiner Adler und ich. Und manchmal nagt er auch an einem. Weiß Gott, warum, meistens lutscht er am Korps des braven Ney!« Ich legte das rote Hölzchen wieder auf den Fußboden zurück. »Sie wollten mir etwas sagen, Sire? Ich lehne es ab, mit Eurer Majestät über Seine Königliche Hoheit, den schwedischen Kronprinzen, zu sprechen.« »Wer spricht schon von Bernadotte!« Er machte eine unwillige Bewegung. »Das war es doch nicht, Eugénie, es war nur –« Er trat dicht auf mich zu und starrte mir ins Gesicht, als ob er sich jeden Zug genau einprägen wollte. »Nur, wie du plötzlich gesagt hast, dass ich dich in angenehmer Erinnerung behalten soll, weil du dich für immer verabschiedest, dachte ich –« Er wandte sich brüsk ab und trat ans Fenster. »So kann man doch nicht Abschied nehmen, wenn man einander so lange gekannt hat. Nicht wahr?« Ich stand vor dem Kamin und spielte mit der Fußspitze mit den bunten Bausteinchen eines Heeres. Korps Ney, Korps Marmont, Korps Bernadotte? Gibt es nicht mehr. Dafür eine Armee, eine ganze Armee, die schwedische, russische und preußische Truppen umfasst. Die Armee Bernadotte auf der anderen Seite … »Ich habe gesagt, man kann doch nicht so ohne weiteres auseinander gehen«, kam es vom Fenster. »Warum nicht, Sire?« Er wandte sich um. »Warum nicht? Eugénie, hast du die Tage von Marseille vergessen, die Hecke, die Wiese? Unsere Gespräche über Goethes Roman? Unsere Jugend, Eugénie, unsere Jugend … du hast überhaupt nicht verstanden, warum ich zu dir gekommen bin. An dem Abend nämlich, an dem ich aus Russland zurückkehrte. Mir war damals so kalt, ich war müde und sehr allein.«
    »Während Sie mir den Brief an Jean-Baptiste diktiert haben, hatten Sie doch ganz vergessen, dass Sie mich schon als Eugénie Clary gekannt haben. Ihr Besuch galt derKronprinzessin von Schweden, Sire.« Ich war traurig. Sogar beim Abschied lügt er, dachte ich. Aber er schüttelte heftig den Kopf. »Ich hatte über Bernadotte nachgedacht. Am Vormittag jenes Tages. Aber als ich nach Paris kam, wollte ich dich sehen, nur dich. Und dann – ich weiß nicht mehr, wieso, ich war so müde an jenem Abend, sobald wir von Bernadotte sprachen, vergaß ich wieder Marseille. Kannst du mich verstehen?« Es dunkelte. Niemand zündete die Kerzen an, um uns nicht zu stören. Ich konnte seine Züge nicht mehr unterscheiden. Was wollte er eigentlich von mir? »Ich habe in diesen Wochen eine Armee von 200 000 Mann aufgestellt. Übrigens hat sich England verpflichtet, eine Million Pfund an Schweden auszubezahlen, um die Truppen auszurüsten. Haben Sie das gewusst, Madame?« Ich gab keine Antwort. Übrigens habe ich es nicht gewusst. »Wissen Sie, wer Bernadotte geraten hat, seinen Brief an mich der feindlichen Presse zur Verfügung zu stellen? Madame de Staël ist bei ihm in Stockholm. Wahrscheinlich lässt er sich abends von ihr aus ihren Romanen vorlesen. Haben Sie das gewusst, Madame?« Ja, ja, ich weiß es, es ist gleichgültig, wozu erwähnt er es überhaupt? »Angenehmere Gesellschaft scheint Bernadotte in Stockholm nicht zu finden!« »Doch, Sire«, lachte ich. »Mademoiselle George gastierte kürzlich mit sehr viel Erfolg in Stockholm und erfreute sich des Wohlwollens Seiner Königlichen Hoheit. Haben Sie das gewusst, Sire?«
    »Mein Gott, Georgina, süße kleine Georgina …«
    »Seine Königliche Hoheit wird bald seinen alten Freund Moreau wieder sehen. Moreau kehrt nach Europa zurück und will unter Jean-Baptistes Oberbefehl kämpfen. Haben Sie das gewusst, Sire?« Wie gut, dass die Dunkelheit wie eine Wand zwischen uns lag. »Man sagt, dass der Zar Bernadotte die französische Krone versprochen hat«, kam es langsam. Das klingt wahnsinnig, aber es istdurchaus möglich. Wenn Napoleon besiegt wird, dann – ja, was dann? »Nun, Madame? Sollte Bernadotte mit diesem Gedanken auch nur spielen, so wäre das der tiefste Verrat, der je von einem Franzosen begangen wurde.« »Natürlich. Verrat an seiner eigenen Gesinnung. Darf ich mich jetzt verabschieden, Sire?«
    »Wenn Sie sich jemals persönlich in Paris unsicher fühlen, Madame, ich meine,

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