Désirée
sicher er davonhinkte. Der wird die Vorhänge rechtzeitig umdrehen lassen … Schließlich saß ich mit Julie und ihren Töchtern in meinem Wagen und kehrte in die Rue d’Anjou zurück. Und zum ersten Mal seit jenem Tag, an dem Julie Königin geworden ist, sprach Marie wieder mit ihr. Mütterlich legte sie den Arm um ihre schmalen Schultern und führte sie die Treppen hinauf. »Marie, die Königin Julie wird in Oscars Zimmer schlafen! Und die Kinder bekommen das Zimmer der La Flotte. Diese muss ins Gästezimmer übersiedeln.«
»Und der General Clary, der Sohn vom Herrn Etienne?«, wollte Marie wissen. »Was heißt das?«
»Der General ist vor einer Stunde angekommen und möchte hier wohnen. Bis auf weiteres«, verkündete Marie.Etienne hat nämlich seinen Sohn Marius auf die Militärakademie gesteckt anstatt in Papas Firma. Und Marius ist mit Gottes und Napoleons Hilfe bis zum General avanciert. »Der alliierte und der kriegsgefangene Adjutant können ein Zimmer teilen. Dann kann General Clary Villattes Bett bekommen«, entschied ich. »Und die Gräfin Tascher?« Diese Frage verstand ich erst, als ich in den Salon trat. Dort warf sich Etiennes Tochter Marceline, die mit einem Grafen Tascher verheiratet ist, weinend in meine Arme. »Tante, ich habe solche Angst in meinem Haus, jeden Moment können doch die Kosaken kommen!«, schluchzte sie. »Und dein Mann?«
»Irgendwo an der Front. Marius hat bei mir übernachtet, und wir haben beschlossen, herzukommen und vorderhand bei dir –« Ich gebe ihr das Gästezimmer, und die La Flotte muss auf einem Diwan in meinem Boudoir schlafen, überlegte ich. Gegen fünf Uhr nachmittags verstummten die Kanonen. Villatte und von Rosen kehrten von einem Spaziergang zurück und berichteten, dass Blücher Montmartre erstürmt habe und die Österreicher in Menilmontant standen. Die Alliierten verlangten bedingungslose Kapitulation. »Und die Gouvernante meiner Kinder?«, jammerte Julie. »Du musst ihr ein eigenes Zimmer geben, sonst kündigt sie mir. Wer schläft denn in Jean-Baptistes Bett?« Nicht die Gouvernante, dachte ich wütend und flüchtete. Flüchtete in Jean-Baptistes leeres Schlafzimmer. Setzte mich auf das breite, leere Bett. Lauschte in die Nacht hinaus, lauschte …
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Paris, am 30. März 1814.
U m zwei Uhr nachts wurde die Kapitulation unterzeichnet. Als ich heute früh aus dem Fenster sah, wehte die schwedische Fahne über meinem Haustor. Graf von Rosen hat sie mit Hilfe des schwedischen Kutschers hinausgehängt. Eine dichte Menschenmenge wartete vor unserem Haus. Ihr Gemurmel steigt dumpf zu meinem Fenster auf. »Was wollen denn die Leute, Villatte?«
»Das Gerücht hat sich verbreitet, dass Hoheit eintreffen wird.«
»Aber was wollen die Leute von Jean-Baptiste?« Das Murmeln schwoll an und klang drohend. Da fragte ich nicht mehr. Ein Wagen fuhr vor. Gendarmen drängten die Menge zurück. Ich sah Hortense mit dem neunjährigen Napoleon Louis und dem sechsährigen Charles Louis Napoleon aussteigen. Das Volksgemurmel verstummte. Eines der Kinder deutete auf die schwedische Fahne und fragte etwas. Aber Hortense zerrte ihre Buben schnell in mein Haus. Die La Flotte erschien. »Die Königin Hortense lässt fragen, ob die Neffen des Kaisers vorläufig unter dem Schutz Eurer Hoheit wohnen können. Die Königin selbst will sich zu ihrer Mutter nach Malmaison begeben.« Wieder zwei kleine Jungen im Haus, vielleicht haben wir auf dem Dachboden noch Spielzeug von Oscar … »Sagen Sie Ihrer Majestät, die Kinder werden bei mir gut aufgehoben sein.« Ich werde sie in das Zimmer der La Flotte legen. Marceline muss im Boudoir schlafen und die La Flotte in Yvettes Kabinett, Yvette dagegen … Unten stieg Hortense wieder in den Wagen. »Vive l’Empereur!«, schrie ihr die Menge nach. Dann schloss sich wieder die Menschenmauer vor meinem Haus. Ich warte nicht mehr allein. Drohend wartet die Straße mit mir.
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Paris, April 1814.
A m 31. März zogen die Truppen der Verbündeten in Paris ein. Die Kosaken sprengten im Galopp über die Champs-Élysées und stießen dabei unartikulierte Laute aus. Die Preußen marschierten in Reih und Glied und trugen alle erbeuteten Adler, Standarten und französischen Fahnen durch die Straßen und sangen Lieder, die ihre kriegerischen Freiheitsdichter geschrieben haben, eines davon begann:
»Du Schwert an meiner Linken,
was soll dein heiteres Blinken,
schaust mich so freundlich an,
hab meine Freude dran …«
Die
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