Désirée
ausstieg, präsentierten sie das Gewehr. Sie trugen Vollbärte und sahen zum Fürchten aus. »Eine Ehrenwache«, murmelte Graf von Rosen. »Worauf warten denn die Leute schon wieder? Warum starren sie zu den Fenstern hinauf?« »Wahrscheinlich hat sich das Gerücht verbreitet, dass Seine Königliche Hoheit im Laufe des Tages ankommen wird. Schließlich findet morgen der offizielle Einzug der siegreichen Herrscher und Feldmarschällestatt. Undenkbar, dass Seine Hoheit nicht an der Spitze der schwedischen Truppen an der Siegesparade teilnimmt.« Undenkbar, ja undenkbar … Vor dem Essen zog mich Oberst Villatte beiseite. »Zuerst wollte man nicht mit der Sprache heraus. Aber als ich sagte, dass ich im Auftrag Eurer Hoheit anfrage, hat mir Talleyrand im Vertrauen mitgeteilt –« Er flüsterte. »Es ist unfassbar«, sagte er zuletzt. Dann folgte er mir ins Speisezimmer. Erst nach dem Dessert fiel mir auf, dass alle in gedrücktem Schweigen dasaßen. Sogar die Kinder. »Ist – ist irgendetwas geschehen?«, fragte ich verwirrt. Zuerst erhielt ich keine Antwort. Dann sah ich, dass Julie neben mir mit den Tränen kämpfte. »Du bist so sonderbar geworden, Désirée«, kam es gequält. »So fremd und – unnahbar. Ganz anders als sonst…«
»Herrgott, ich habe Sorgen und schlafe schlecht, diese Tage sind so traurig.«
»Und du hast niemanden von uns dem Zaren vorgestellt«, schluchzte sie auf. »Und die Kinder möchten morgen so gern die Parade sehen, aber niemand traut sich, dich zu fragen, ob du ihnen den Wagen mit dem schwedischen Wappen borgen willst. In deinem Wagen wären sie nämlich sicher – die armen, armen Bonaparte-Kinder!« Ich sah die Kinder an. Die Söhne von Hortense und Louis sind schmächtig, blond und schüchtern. Sie erinnern nicht im Geringsten an ihren Onkel Napoleon. Julies Zenaïde dagegen hat die hohe Stirn der Bonapartes geerbt. Charlotte mit den dunklen Locken sieht meinem Oscar sehr ähnlich. »Mein Wagen steht natürlich allen, die den Einzug der siegreichen Truppen sehen wollen, zur Verfügung.« Julie legte ihre Hand auf meinen Arm. »Wie lieb von dir, Désirée!«
»Wieso? Morgen brauche ich ihn doch nicht. Ich bleibe den ganzen Tag zu Hause.« In jener Nacht – vom 12. aufden 13. April – blies ich die Kerze auf meinem Nachttisch nicht aus. Gegen elf Uhr abends verebbte das Gemurmel vor meinem Haus. Die Neugierigen verzogen sich. Es wurde sehr still in der Rue d’Anjou. Die Schritte der beiden russischen Wachtposten hallten. Mitternacht: nur die Schritte der Wachtposten. Es schlug eins. Der Tag der Siegesparade war angebrochen. Jeder Muskel in meinem Körper war gespannt. Ich lauschte. Ich glaubte vor Lauschen wahnsinnig zu werden. Dann schlug es zwei. Wagenrollen unterbrach die Stille. Wagenräder hielten knirschend vor meinem Haus. Klick-klack: Die Wachtposten präsentierten das Gewehr. Hart wurde ans Haustor geklopft. Stimmen. Drei, vier … Aber nicht jene Stimme, auf die ich wartete. Ich lag ganz steif mit geschlossenen Augen. Jemand lief die Treppe herauf. Jagte, nahm zwei Stiegen auf einmal. Riss die Tür meines Schlafzimmers auf, küsste meinen Mund, meine Wangen, meine Augen, meine Stirn. Jean-Baptiste. Mein Jean-Baptiste. »Du musst etwas Warmes essen, du hast eine lange Reise hinter dir«, sagte ich ungeschickt und öffnete die Augen. Jean-Baptiste kniete neben meinem Bett, sein Gesicht lag auf meiner Hand. »Eine Reise – ja, eine entsetzlich lange Reise«, kam es tonlos.
Ich streichelte mit der anderen Hand sein Haar. Wie hell es im Kerzenlicht schimmerte – grau ist es geworden, wirklich ganz grau. Ich richtete mich auf. »Komm, Jean-Baptiste, geh in dein Zimmer und ruh dich aus. Ich laufe inzwischen schnell in die Küche und mache dir eine Omelette, ja?« Aber er rührte sich nicht, presste die Stirn an die Kante meines Bettes und rührte sich nicht.
»Jean-Baptiste! Du bist doch zu Hause – endlich wieder zu Hause!« Da hob er langsam den Kopf. Die scharfen Falten um den Mund sind zu tiefen Furchen geworden, die Augen schienen erloschen. »Jean-Baptiste, steh auf! Dein Zimmer wartet und –«
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er Erinnerungen auslöschen. »Ja, ja – natürlich. Kannst du alle unterbringen?« »Alle –?«
»Ich bin doch nicht allein gekommen. Ich habe Brahe als Adjutanten und Löwenhjelm als Kammerherrn mit, außerdem Admiral Stedingk und –«
»Ausgeschlossen, das Haus ist sowieso schon überfüllt! Mit Ausnahme deines
Weitere Kostenlose Bücher