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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Unangenehmeres als Kondolenzbesuche. Noch dazu an einem strahlenden Pfingstsonntag … Gestern Abend ließ sich eine verweinte Exhofdame aus Malmaison bei mir melden. Josephine ist am Samstag um die Mittagsstunde plötzlich gestorben. An einer schweren Erkältung, die sie sich vor ein paar Tagen auf einem Abendspaziergang am Arm des Zaren im Park von Malmaison geholt hat. »Der Abend war recht kühl, aber Ihre Majestät wollte absolut keinen Mantel anziehen. Ihre Majestät trug ein neues Musselinkleid und war sehr dekolletiert. Nur einen Schal hatte sie umgeworfen, hauchdünn und durchsichtig.« Ich kenne den Musselin, Josephine, zu leicht für einen Maiabend. Violett – nicht wahr? Etwas melancholisch und so kleidsam … Hortense und Eugène Beauharnais wohnten bei ihrer Mutter. Die Exhofdame reichte mir den Brief. »Bring mir die Kinder mit, meinen einzigen Trost«, schrieb Hortense zwischen vielen Gedankenstrichen und Ausrufungszeichen. So kam es, dass ich heute früh mit Julie und den beiden Söhnen der ehemaligen Königin von Holland nach Malmaison fuhr. Wir versuchten, den Buben begreiflich zu machen, dass ihre Großmutter gestorben war. »Vielleicht ist sie gar nicht richtig tot. Vielleicht redet sie es nur den Verbündeten ein und fährt heimlich zum Kaiser nach Elba«, schlug Charles Napoleon vor. Im Bois de Bologne wehte der Wind Sommer und Lindenblüten in den Wagen. Es schien unglaublich, dass Josephine nicht mehr lebte. In Malmaison fanden wir Hortense in tiefschwarzen Gewändern vor, grünblass, mit vom Weinen geröteter Nase. Feierlich warf sie sich zuerst in meine, dann in Julies Arme. EugèneBeauharnais saß vor einem winzigen Damenschreibtisch und wühlte in lauter Zetteln. Der verlegene junge Mann von einst war von Napoleon zum Vizekönig von Italien ernannt und zur Heirat mit der Tochter des bayrischen Königs gezwungen worden. Er beugte sich steif über unsere Hände. Dann wies er auf den Schreibtisch mit den vielen Zetteln und seufzte: »Es ist mir unverständlich – lauter unbezahlte Rechnungen. Für Kleider, Hüte und Rosenstöcke!« Hortenses Mund war ein Strich. »Mama ist doch niemals mit ihrer Apanage ausgekommen.«
    »Außer den zwei Millionen, die ihr der Staat nach der Scheidung jedes Jahr ausbezahlte, hat ihr der Kaiser noch eine Million von seiner Zivilliste zur Verfügung gestellt. Und trotzdem –« Er fuhr sich verzweifelt durch die Haare. »Hortense, diese Schulden gehen in die Millionen, ich möchte wissen, wer sie bezahlen wird!«
    »Das wird die Damen nicht interessieren«, sagte Hortense und bat uns, Platz zu nehmen. Steif und wortlos saßen wir auf Josephines weißem Seidensofa. Die Flügeltüren in den Garten waren offen, der Duft von Josephines Rosen strömte herein … »Der Kaiser von Russland hat Mama seine Aufwartung gemacht, und Mama hat ihn zum Souper eingeladen.« Hortense betupfte mit einem Taschentuch die trockenen Augen. »Ich nehme an, sie wollte ihn bitten, sich meiner schutzlosen Kinder anzunehmen. Sie wissen doch, dass ich jetzt geschieden bin, nicht wahr?« Wir nickten höflich. Hortenses Geliebter, der Graf Flahault, tauchte auf. Der uneheliche Sohn, den sie ihm geboren hat, wird bei einem Grafen Morny aufgezogen. Eugène Beauharnais raschelte mit den unbezahlten Rechnungen der toten Josephine. »Mama scheint dem Salon Le Roy seit Monaten nichts bezahlt zu haben. Trotzdem hat sie sich sechsundzwanzig Toiletten bestellt. Ich frage mich nur, wozu Mama in ihrer Abgeschiedenheitsechsundzwanzig Toiletten –« Er starrte den Zettel an. Seine Schwester zuckte verächtlich die Achseln, das Taschentuch verbarg ihren Mund. Der einzige Mann, den Hortense Beauharnais jemals geliebt hat, ist mit ihrer Mutter verheiratet gewesen. »Wollen Sie sie sehen?«, fragte Hortense unvermittelt. Julie schüttelte heftig den Kopf. »Ja«, sagte ich, ohne nachzudenken. »Graf Flahault, führen Sie Ihre Königliche Hoheit hinauf!« Wir gingen in den ersten Stock. »Die teure Verstorbene liegt noch in ihrem Schlafzimmer«, flüsterte er. »Hier – bitte einzutreten, Hoheit!« Die hohen Kerzen brannten, ohne zu flackern. Die Fensterläden waren dicht geschlossen. Es roch betäubend nach Weihrauch, Rosen und Josephines schwerem Parfüm. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Halbdunkel. Wie schwarze Riesenvögel kauerten Nonnen am Fußende des breiten, niederen Bettes und murmelten Totengebete, einförmig, plätschernd. Zuerst hatte ich Angst, die Tote anzusehen. Aber dann nahm

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