Désirée
Abtretung Norwegens an Schweden. Aber stell dir vor, Désirée – die Norweger wollen nicht!« Das ist also der Abschied. Ich sitze im Bett, eine Kerze flackert, er spricht von Norwegen. »Warum denn nicht?« »Weil sie nicht über sich bestimmen lassen wollen. Dabei biete ich ihnen die liberalste Verfassung der Welt. Verspreche, nicht einen einzigen schwedischen Beamten nach Christiania zu setzen. Aber sie lassen ihr Storting zusammentreten und –«
»Welches Ting lassen sie zusammentreten?«
»Storting – die norwegische Nationalversammlung. Sie wollen selbständig sein. Vielleicht sogar Republik.«
»Dann lass sie doch!« Ich kann sein Gesicht nichtsehen, er hält den Kopf gesenkt, die Augen sind im Schatten – Jean-Baptiste, ist das wirklich der Abschied? »Lass sie, lass sie! Wie du dir das vorstellst! Erstens bilden Schweden und Norwegen eine geographische Einheit. Zweitens habe ich den Schweden die Union versprochen. Drittens werden sie dadurch Finnland endlich verschmerzen. Viertens kann ich die Schweden nicht enttäuschen. Fünftens – jetzt schon gar nicht. Verstehst du mich endlich?«
»Der schwedische Reichstag hat dich doch ein für alle Mal zum Thronfolger gewählt, Jean-Baptiste.«
»Und der schwedische Reichstag kann mich ein für alle Mal wieder von der Thronfolge ausschließen und den Vasa-Prinzen zurückberufen. Mit den Bourbonen sind die Legitimisten zurückgekehrt, mein Kind, schmeißt den Jakobinergeneral hinaus, ruft die alten Dynastien zurück, vergesst die letzten zwanzig Jahre!« Sein Blick fiel auf die Zeitungen auf meinem Nachttisch. Zerstreut blätterte er im »Journal des Débats«. Plötzlich begann er zu lesen. Schwer und hart wie ein Stein lag mein Herz in der Brust. »Du könntest durch eine Heirat zum Mitglied einer alten Dynastie werden, Jean-Baptiste«, sagte ich. Und, weil er noch immer im »Journal des Débats« las: »Hast du denn diesen Artikel noch nicht gelesen?« »Nein, ich habe wirklich keine Zeit für Skandalgeschichten. Hoftratsch, widerlicher Hoftratsch …« Er warf das Blatt auf den Nachttisch zurück und sah mich an. »Schade, ich habe unten einen Wagen stehen und wollte dir vorschlagen – nein, lassen wir das, du bist wahrscheinlich schon müde.«
»Du willst Abschied nehmen und mir einen Vorschlag machen.« Meine Stimme war tonlos, aber ich nahm mich zusammen. »Sag mir, was du mir zu sagen hast. Aber sag es schnell, sonst werde ich noch verrückt!« Ganz erstaunt sah er mich an. »Es ist nicht so wichtig, ich wollte mit dirnoch einmal durch die Straßen von Paris fahren. Zum letzten Mal, Désirée!«
»Zum – letzten Mal«, flüsterte ich. »Ich werde nämlich nie wieder nach Paris kommen.« Zuerst glaubte ich, nicht richtig gehört zu haben. Und dann begann ich zu weinen. »Was hast du denn, Désirée – ist dir nicht gut?«
»Ich habe geglaubt – du willst dich – scheiden lassen«, schluchzte ich und stieß die Bettdecke zurück. »Und jetzt ziehe ich mich schnell an, wir fahren zusammen durch die Straßen, Jean-Baptiste – nicht wahr, zusammen?« Der Wagen rollte die Seine entlang. Es war ein offener Wagen, ich legte den Kopf an Jean-Baptistes Schulter und spürte seinen Arm um mich. Die Lichter von Paris tanzten im schwarzen Wasser. Jean-Baptiste ließ den Wagen halten. Wir stiegen aus und wanderten Arm in Arm über »unsere« Brücke. Dann lehnten wir uns über die Brüstung. »Es ist immer dasselbe«, sagte ich traurig. »Ich mache dir Schande. Zuerst im Salon der Tallien, später im Salon der Königin von Schweden. Verzeih mir, Jean-Baptiste!« »Das ist mir ganz egal. Es tut mir nur so Leid – deinetwegen.« Dieselben Worte wie einst. Nur, dass er mir jetzt du sagt und nicht Sie … Die Worte unseres ersten Gespräches fielen mir ein, unwillkürlich fragte ich: »Kennen Sie den General Bonaparte persönlich?«
Unwillkürlich antwortete er: »Ja, er ist mir unsympathisch.« Ich beugte mich vor und sprach zu den tanzenden Lichtern. »Ich habe mich hinaufgedient, Mademoiselle – mit fünfzehn bin ich in die Armee gekommen, und dann war ich sehr lange Unteroffizier – ich bin jetzt Divisionsgeneral, Mademoiselle! Ich heiße Jean-Baptiste Bernadotte. Ich habe seit Jahren einen Teil meines Gehaltes aufgespart, ich kann ein kleines Haus für Sie und das Kind kaufen … Das hast du damals gesagt, erinnerst du dich?«
»Natürlich. Aber ich möchte lieber wissen, wie du dirdeine Zukunft vorgestellt hast, Désirée.« Zuerst stotterte ich.
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