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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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sich wieder als Heldennation wie zur Zeit Carls XII. Aber Papa war müde und traurig. Kennst du den Grund, Mama? Obwohl die Dänen Norwegen an uns abgetreten haben, hat dernorwegische Reichstag am 17. Mai in Eidsvold erklärt, dass das Land selbstständig zu sein wünscht. Stell dir das vor, Mama! Papa hat mir erzählt, dass es in Christiania seit Jahren eine Partei gibt, die sich »Vereinigtes Skandinavien« nennt und einen republikanischen skandinavischen Staatenbund anstrebt. Aber die Norweger haben sich doch nicht getraut, die Republik auszurufen. Deshalb haben sie schnell einen dänischen Prinzen zu ihrem Regenten ernannt. Nur um uns zu ärgern, weißt du. Dann haben sie erklärt, sie würden ihre Selbständigkeit verteidigen. Mama – die Kriegsbegeisterung unserer schwedischen Offiziere kann ich dir gar nicht schildern. Seine Majestät, dessen Zustand sich stets verschlechtert und der sich vor lauter Gicht kaum rühren kann, wollte sofort in die Schlacht ziehen. Oder vielmehr segeln – er flehte den Papa um ein Kriegsschiff an und wies darauf hin, dass er seit seiner Geburt Admiral der schwedischen Flotte sei. Papa gestand mir, dass sich Schweden momentan nur einen drei Monate langen Krieg gegen Norwegen leisten kann. Das Kriegsschiff, um das der alte König so bettelte, bezahlte Papa aus eigener Tasche. Der alte Herr hat keine Ahnung davon! Ich erklärte natürlich: »Wenn der alte König mitfahren darf, will ich auch mitkommen!« Papa hat gar nichts dagegen. Er sagte nur: »Oscar, diese Norweger sind ein wunderbares Volk. Riskieren diesen Krieg mit Schweden und haben nur halb so viel Truppen wie wir und so gut wie gar keine Munition.« Papa war ehrlich ergriffen. Dann reichte er mir ein Aktenstück: »Lies dir das durch, Oscar, aber gründlich! Ich gebe den Norwegern die freieste Verfassung Europas.« Das wunderbare Volk bestand leider auf seiner Selbstständigkeit, und Papa reiste mit seinem Generalstab nach Strömstad. Wir kamen ihm nach, beide Majestäten, der ganze Hofstaat und ich. Im Hafen lag das versprochene Kriegsschiff. Es hieß »Gustaf den store« (Gustaf derGroße), und wir gingen alle an Bord. Ein paar Tage später stürmten unsere Truppen die erste norwegische Insel. Seine Majestät sah vom Deck aus mit einem Feldstecher zu. Papa schickte jeden Augenblick einen Adjutanten an Bord und meldete ihm, dass unsere Soldaten planmäßig vorrückten. Als wir die Festung Kongsten eroberten, stand Papa neben mir an der Reling. Die Marschälle von Essen und Adlercreutz waren bei den Truppen. Zuletzt konnte ich den Kanonendonner und die Gewehrsalven nicht mehr aushalten. Ich packte Papa am Arm. »Schick einen Offizier zu den Norwegern und sag ihnen, dass sie in Gottes Namen selbstständig sein können! Papa, lass doch nicht mit Kanonen auf sie schießen –!« Papa lächelte. »Natürlich nicht, Oscar! Wir schießen doch nur mit Blindgängern wie bei Manövern. Und die Feuer, die dich so aufregen, sind Leuchtraketen.« Schnell legte er den Finger an die Lippen und sah zum alten König und zur Königin hinüber, die einander aufgeregt den Feldstecher aus den Händen rissen. »Dann – dann ist das doch kein richtiger Feldzug«, flüsterte ich. »Nein, Oscar, nur – eine Landpartie.«
    »Warum ziehen sich denn die Norweger zurück?«
    »Weil ihre Offiziere die Reichweite meiner Kanonen berechnen und wissen, dass ich dieses Manöver gewinne. Übrigens haben die Norweger gar nicht die Absicht, diese Festungen hier zu halten. Ihre wirkliche Verteidigungslinie beginnt erst westlich von Glommen.« Weiter kam er nicht. In diesem Augenblick verstummten die schwedischen Kanonen. Es war totenstill. Die Norweger räumten die Festung Kongsten. Erst jetzt bat Papa um einen Feldstecher. »Und was geschieht, wenn sich die Norweger in ihre Berge zurückziehen? Kannst du sie bis über die Gletscher verfolgen, Papa?« »Und wie! Oscar, auf allen Kriegsakademien der Welt wird gelehrt, wie der General Bernadotte seinerzeit ein Armeekorps in Eilmärschen über dieAlpen geführt hat.« Plötzlich sah Papa wieder müde und traurig aus. »Damals habe ich eine junge Republik verteidigt, und heute – siehst du, heute nehme ich diesem kleinen freiheitsliebenden Volk dort drüben sein Selbstbestimmungsrecht. Oscar, man wird alt, man überlebt sich selbst.« Der ganze Feldzug dauerte nur vierzehn Tage. Dann baten die Norweger um Einstellung der Feindseligkeiten. Ihr Reichstag wurde für den 10. November (heute!) einberufen und Papa

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