Désirée
ganzmit Seide ausgeschlagen ist. Dort empfängt sie jeden Nachmittag alle berühmten Politiker und – ja, wenn man etwas von der Regierung haben will, dann muss man es nur ihr sagen, habe ich gehört. Ich habe nämlich mit einem Herrn gesprochen, der erst gestern von Paris hier angekommen ist, und dieser Herr –«
»Und dieser Herr?«, fragte ich gespannt.
»Ich habe ihn kennen gelernt. Wie man eben Leute kennen lernt, nicht wahr? Er stand auf dem Rathausplatz und sah sich das Rathaus an, und ich kam eben zufällig vorbei. Und – plötzlich kamen wir ins Gespräch. Aber du hast den Mund zu halten! Schwörst du?« Ich nickte. »Gut«, sagte Polette. »Du schwörst bei allen Heiligen im Himmel. Napoleone kann nämlich nicht vertragen, wenn ich mich mit fremden Herren unterhalte. In dieser Beziehung hat er Ansichten wie eine alte Jungfer. Sag einmal, glaubst du, dass mir dein Bruder Etienne Stoff für ein neues Kleid schenken würde? Ich habe an etwas Durchsichtiges in Rosa gedacht und –« Sie unterbrach sich. »Dort drüben liegt die Militärkommandantur. Soll ich mit dir hineingehen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich allein vorspreche. Du wartest auf mich, ja? Halte Daumen!« Sie nickte ernst und legte die Finger ihrer Rechten über den Daumen. »Ich werde auch ein Vaterunser beten, das kann nichts schaden«, sagte sie. Ich presste das Paket an mich und ging mit großen Schritten auf die Militärkommandantur zu und hörte dann meine eigene Stimme, die ganz heiser und fremd klang, den Posten bitten, mich bei Oberst Lefabre zu melden. Als ich dann in das kahle Zimmer mit dem großen Schreibtisch und dem viereckigen Oberst geführt wurde, konnte ich zuerst vor Herzklopfen gar nicht sprechen. Der Oberst hatte ein rotes Quadratgesicht mit grauen Stoppeln und trug einealtmodische Zopfperücke. Ich legte das Paket auf den Schreibtisch, schluckte verzweifelt und wusste nicht, was ich sagen sollte. »Was ist in dem Paket, Bürgerin? Und wer sind Sie eigentlich?«
»Unterhosen, Bürger Oberst Lefabre, und ich heiße Clary.« Die wasserblauen Augen musterten mich von oben bis unten. »Eine Tochter des verstorbenen François Clary?« Ich nickte. »Habe mit dem Herrn Papa manchmal Karten gespielt. Sehr ehrenwerter Mann gewesen, der Herr Papa.« Er ließ mich nicht aus den Augen. »Und was soll ich mit den Unterhosen anfangen, Bürgerin Clary?«
»Das Paket ist für den General Napoleone Buonaparte. Er ist arretiert worden. Wir wissen nicht, wo er ist. Aber Sie, Herr Oberst, werden es wissen. Ein Kuchen ist wahrscheinlich auch in dem Paket. Wäsche und ein Kuchen …«
»Und was hat die Tochter des François Clary mit dem Jakobiner Buonaparte zu schaffen?«, fragte der Oberst langsam. Mir wurde sehr heiß. »Sein Bruder Joseph ist mit meiner Schwester Julie verlobt«, sagte ich und fand, es war eine geniale Antwort. »Und warum kommt nicht sein Bruder Joseph? Oder Ihre Schwester Julie?«
Die wasserblauen Augen blickten sehr ernst und ließen mein Gesicht nicht los. Ich hatte das Gefühl, dass er alles wusste. »Joseph hat Angst, Angehörige von Verhafteten haben doch immer Angst«, stieß ich hervor. »Und Julie hat jetzt andere Sorgen als dieses Paket. Sie weint, weil Etienne – das ist unser großer Bruder – plötzlich nicht erlaubt, dass sie Joseph Buonaparte heiratet. Und das alles, weil –« Ich war jetzt so wütend, dass ich mich gar nicht beherrschen konnte. »Und das alles, weil Sie den General verhaften ließen, Bürger Oberst!«
»Setzen Sie sich«, sagte er mir.
Ich setzte mich auf die Kante eines Sessels, der neben seinem Schreibtisch stand. Der Oberst zog eine Tabakdosehervor und schnupfte. Dann sah er zum Fenster hinaus. Er schien mich vergessen zu haben. Plötzlich wandte er sich wieder mir zu: »Hören Sie auf mich, Bürgerin – Ihr Bruder Etienne hat natürlich Recht. Ein Buonaparte ist wirklich keine Partie für eine Clary. Für eine Tochter des François Clary … Sehr ehrenwerter Mann gewesen, der verstorbene Herr Papa.« Ich schwieg. »Diesen Joseph Buonaparte kenne ich nicht. Er ist nicht in der Armee, nicht wahr? Was jedoch den anderen betrifft, diesen Napoleone Buonaparte –«
»General Napoleone Buonaparte!«, sagte ich und warf den Kopf in den Nacken. »Was also diesen General betrifft, so habe nicht ich ihn verhaften lassen, sondern nur einen Befehl des Kriegsministeriums in Paris durchgeführt. Buonaparte besitzt jakobinische Sympathien, und sämtliche
Weitere Kostenlose Bücher