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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Zähne vor Nässe und Aufregung aneinander schlugen und kleine Bäche aus meinen Haaren über mein Gesicht liefen. Und jetzt kam eine Hand auf mich zu und suchte meine Finger, einegroße und warme Hand. Ich schluchzte: »Lassen Sie mich aussteigen! Lassen Sie mich doch …« Gleichzeitig klammerte ich mich an diese fremde Hand, weil mir so elend war.
    »Sie haben mich doch selbst um meine Begleitung gebeten«, kam es dann aus dem Dunkel des Wagens. »Erinnern Sie sich nicht, Mademoiselle Désirée?« Da stieß ich seine Hand weg und sagte: »Ich – ich will – jetzt allein sein …«
    »O nein, Sie haben mich gebeten, Sie zu Madame Tallien zu begleiten. Und jetzt bleiben wir beide zusammen, bis ich Sie nach Hause bringe.« Seine Stimme war sehr ruhig und eigentlich sehr angenehm. »Sind Sie dieser General – dieser General Bernadotte?«, fragte ich. Und dann fiel mir alles ganz deutlich ein, und ich schrie: »Lassen Sie mich doch in Ruhe! Ich kann Generäle nicht leiden! Generäle haben kein Herz …« »Nun, es gibt Generäle und – Generäle«, sagte er und lachte. Dann hörte ich ihn im Dunkeln rascheln, und ein Mantel wurde um meine Schultern gelegt. »Ich werde Ihren Mantel ganz nass machen«, sagte ich. »Erstens bin ich vom Regen ganz durchweicht, und zweitens muss ich schrecklich weinen.« – »Das macht nichts«, meinte er. »Darauf bin ich vorbereitet. Wickeln Sie sich nur fest in den Mantel!« Brennend zuckte eine Erinnerung auf. An einen anderen Generalsmantel, an eine andere Regennacht. Napoleon hielt damals um meine Hand an … Der Wagen rollte und rollte dahin, einmal hielt der Kutscher und fragte etwas, aber der fremde General rief: »Nur weiter, gleichgültig wohin!« Und so rollten wir weiter, und ich schluchzte in den fremden Mantel. »So ein Zufall, dass Sie gerade an der Brücke vorbeikamen«, bemerkte ich einmal.
    »Gar kein Zufall. Ich habe mich doch für Sie verantwortlich gefühlt, weil ich Sie in diese Gesellschaft gebracht habe. Und als Sie den Salon so plötzlich verließen, bin ichIhnen nachgelaufen. Aber Sie rannten so schnell, dass ich es vorzog, einen Mietwagen zu nehmen und Ihnen nachzufahren. Ich wollte Sie übrigens so lange wie möglich allein lassen.«
    »Und warum waren Sie so gemein und haben mich nicht allein gelassen?«
    »Es war nicht länger möglich«, sagte er ruhig und legte seinen Arm um meine Schulter. Ich war todmüde, und alles war so gleichgültig, ich fühlte mich so zerschlagen, nur immer weiterfahren, dachte ich, niemals aussteigen müssen, niemals wieder sehen und hören und sprechen, nur weiterfahren … Ich legte den Kopf an seine Schulter, und er zog mich etwas fester an sich. Dabei versuchte ich, mich zu erinnern, wie er eigentlich aussah. Aber sein Gesicht verschwamm mit den vielen Gesichtern, die ich gesehen hatte. »Verzeihen Sie, dass ich Ihnen solche Schande gemacht habe«, murmelte ich. »Das ist mir ganz egal«, sagte er, »es tut mir nur so Leid – Ihretwegen.« – »Ich habe den Champagner absichtlich über ihr weißes Kleid ausgeschüttet, Champagner macht nämlich Flecken …«, gestand ich. Plötzlich begann ich zu weinen. »Sie ist viel schöner als ich … und eine große Dame …« Er hielt mich dicht an sich gedrückt und presste mit der freien Hand mein Gesicht an seine Schulter. »Weinen Sie sich nur gut aus, weinen Sie nur!«
    Ich weinte, wie ich noch nie geweint habe. Ich konnte gar nicht aufhören. Manchmal schrie ich vor Weinen, und dann keuchte ich wieder, und immerfort bohrte sich mein Gesicht in den rauen Stoff seiner Uniform. »Ich weine Ihnen die Schulterwattierung nass«, schluchzte ich. »Ja, die haben Sie schon durchgeweint. Aber genieren Sie sich nicht, weinen Sie nur weiter.« Ich glaube, wir sind viele Stunden durch die Straßen gefahren. Bis ich kein Träne mehr hatte. Ich war leer geweint. »Ich werde Sie jetzt nachHause bringen, wo wohnen Sie?«, fragte er. »Setzen Sie mich nur hier ab, ich kann nach Hause gehen«, sagte ich und dachte sofort wieder an die Seine. »Dann fahren wir eben weiter«, meinte er. Ich richtete mich auf, seine Schulter war zu nass geweint, ich fühlte mich nicht mehr wohl auf ihr. Mir fiel etwas ein. »Kennen Sie den General Bonaparte persönlich?«
    »Nein. Ich habe ihn nur einmal flüchtig im Wartezimmer des Kriegsministers gesehen. Er ist mir unsympathisch.«
    »Warum?«
    »Kann ich nicht erklären. Sympathie und Antipathie kann man nicht erklären. Sie zum Beispiel sind mir

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