Désirée
Beziehungen und silbernen Augenlidern. Natürlich – ich verstehe dich, Napoleon. Aber ich zerbreche daran …
»Ich habe etwas sehr Wichtiges gefragt, Mademoiselle.«
»Verzeihen Sie, ich habe es nicht gehört. Was haben Sie gefragt, General Bernadotte?«
»Ob ich Ihnen vielleicht zu alt bin.«
»Ich weiß doch nicht, wie alt Sie sind. Und es ist auch gleichgültig, nicht wahr?«
»Aber nein, es ist sogar sehr wichtig! Vielleicht bin ich Ihnen nämlich zu alt. Ich bin einunddreißig.«
»Ich werde sechzehn«, sagte ich. »Und ich bin sehr müde. Ich möchte jetzt gern nach Hause.«
»Natürlich, verzeihen Sie, ich bin so rücksichtslos! Sie wohnen –?«
Ich nannte die Adresse, er gab dem Kutscher Bescheid.
»Werden Sie sich meinen Vorschlag überlegen? Ich muss in zehn Tagen wieder im Rheinland sein. Vielleicht können Sie mir bis dahin eine Antwort geben«, kam es zögernd. Und dann schnell: »Ich heiße Jean-Baptiste. Jean-Baptiste Bernadotte. Ich habe seit Jahren einen Teil meines Gehaltes aufgespart, ich kann ein kleines Haus für Sie und das Kind kaufen.« »Für welches Kind?«, fragte ich unwillkürlich. Er wurde mir immer unbegreiflicher. »Für unser Kind natürlich«, sagte er eifrig und suchte meine Hand, aber ich zog sie schnell weg. »Ich wünsche mir nämlich eine Frau und ein Kind. Seit Jahren schon, Mademoiselle!«
Meine Geduld riss. »Hören Sie schon auf, Sie kennen mich doch gar nicht!«
»Doch – ich kenne Sie ganz gut!«, meinte er, und es klang wirklich aufrichtig. »Ich glaube, ich kenne Sie viel besser, als Ihre Familie Sie kennt. Ich habe ja so wenig Zeit, um an mein eigenes Leben zu denken, ich bin fast immer an der Front, und deshalb kann ich auch nicht wochenlang zu Ihrer Familie auf Besuch kommen – und ja, und dann mit Ihnen spazieren gehen und was man eben sonst unternimmt, bevor man einen Heiratsantrag macht. Ich muss mich schnell entschließen und – ich habe mich entschlossen.« Mein Gott – er meinte es ernst. Er wollte seinen Fronturlaub benutzen, um zu heiraten, ein Haus zukaufen und ein Kind – »General Bernadotte«, sagte ich, »es gibt im Leben jeder Frau nur eine einzige große Liebe.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ja, das ist doch –« Woher wusste ich es wirklich? »Es steht in jedem Roman, und es ist bestimmt wahr«, sagte ich. In diesem Augenblick knirschten die Bremsen. Wir waren vor dem Haus der Clapains in der Rue du Bac angelangt. Er öffnete den Schlag und half mir beim Aussteigen. Über dem Haustor hing eine Laterne. Ich stellte mich wieder, wie vor dem Haus der Madame Tallien, auf die Zehenspitzen, um sein Gesicht zu sehen. Er hatte schöne weiße Zähne. Und wirklich eine auffallend große Nase. Ich reichte ihm den Schlüssel, den mir Madame Clapain geborgt hatte, und er sperrte auf. »Sie wohnen in einem vornehmen Haus«, bemerkte er. »Oh – wir leben im Hinterhaus«, murmelte ich. »Und jetzt gute Nacht und vielen Dank, wirklich vielen Dank für – alles.« Aber er rührte sich nicht von der Stelle. »Gehen Sie doch zum Wagen zurück, Sie werden ganz nass«, sagte ich. »Sie können beruhigt sein, ich bleibe schon zu Hause!«
»Brav«, lobte er. »Und wann darf ich mir die Antwort holen?« Ich schüttelte den Kopf. »Im Leben jeder Frau –«, begann ich wieder. Aber er hob warnend die Hand. Da unterbrach ich mich und sagte: »Es geht nicht, Herr General! Wirklich nicht. Nicht etwa, weil ich zu jung für Sie bin. Aber, sehen Sie doch selbst – ich bin viel zu klein für Sie!« Dann schlug ich schnell das Tor hinter mir zu. Als ich in die Küche der Clapains trat, war ich nicht mehr müde. Nur noch zerschlagen. Ich kann jetzt nicht schlafen, ich kann nie wieder schlafen … Deshalb sitze ich am Küchentisch und schreibe und schreibe. Übermorgen wird dieser Bernadotte hierher kommen und nach mir fragen. Aber ich werde bestimmt nicht mehr hier sein. Wo ich jedoch übermorgen sein werde, weiß ich noch nicht …
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Marseille, drei Wochen später.
I ch bin sehr krank gewesen. Schnupfen, Halsschmerzen, sehr hohes Fieber und das, was die Dichter ein gebrochenes Herz nennen. Ich habe in Paris Maries Goldmedaillon verkauft und bekam gerade genug Assignaten dafür, um nach Hause zu fahren. Marie steckte mich gleich ins Bett und rief den Arzt, weil ich so hohes Fieber hatte. Der konnte gar nicht verstehen, wieso ich derart verkühlt war – in Marseille hatte es doch seit Tagen nicht geregnet! Marie schickte auch einen Boten zu Mama,
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