Désirée
große Summe Geldes, dreihundert Wagenpferde und ihre schönsten Kunstwerke abliefern. Napoleon sandte alles nach Paris. Vorher zog er natürlich den Sold für seine Truppen, den das Direktorium früher stets der Südarmee schuldig geblieben war, ab. Die Herren Barras und Konsorten in Paris wussten gar nicht, wie ihnen geschah: Gold in der Staatskasse, Italiens schönste Pferde vor ihrenKutschen und kostbare Gemälde in ihren Empfangsräumen! Ein Bild empfahl Napoleon ganz besonders der Aufmerksamkeit der Pariser. Es heißt »La Gioconda« und stammt von einem gewissen Leonardo da Vinci. Eine Dame, die angeblich Mona Lisa hieß, lächelt mit geschlossenen Lippen. Ihr Lächeln erinnert an Josephines. Vielleicht hatte sie auch schlechte Zähne wie die Witwe Beauharnais … Und zuletzt geschah etwas, was niemand jemals für möglich gehalten hätte. Die französische Republik hat sich ja von der Kirche in Rom losgesagt, und von allen Kanzeln außerhalb unserer Grenzen haben katholische Priester jahrelang unseren Staat verflucht. Nun wandte sich der Papst an Napoleon und wollte mit Frankreich Frieden schließen. Tagelang drängten sich die Leute in Etiennes Laden herum, weil mein Bruder ihnen erzählen konnte, dass Napoleon ihm schon vor Jahren seine großen Pläne anvertraut habe. Ihm, der nicht nur der Schwager des Generals Bonaparte ist, sondern auch sein allerbester Freund.
Ich bin wieder eine Weile bei Duphot gesessen und habe seinen Kopf etwas in die Höhe gehalten. Aber es nützt nichts: Seine Atemzüge werden dadurch nicht leichter, er ringt nach Luft. Ich wischte ihm etwas blutigen Schaum vom Mund. Sein Gesicht ist wachsgelb. Ich habe den Arzt hereingerufen. »Innere Blutung«, hat er mir in gebrochenem Französisch erklärt und ist zu Joseph und Julie zurückgegangen. Sie sprechen bestimmt über den morgigen Ball.
Schon vor dem Vertrag mit dem Vatikan war die Regierung in Paris unruhig geworden. Napoleon entwarf und unterschrieb nämlich selbständig alle Verträge mit den von ihm »befreiten« Italienern und fragte nicht einmal vorher in Paris an, ob man mit seinen Bedingungen einverstanden sei. Das übersteigt die Vollmachten einesOberbefehlshabers, murrten die Direktoren in Paris, das hat nichts mehr mit Kriegführung zu tun, das ist Außenpolitik von größter Bedeutung; man müsse ihm unbedingt Diplomaten als Ratgeber senden. Da schrieb Napoleon einige Namen auf: Diese Herren sollte man mit dem Titel und den Vollmachten eines Botschafters der Republik versehen und ihm schicken. An der Spitze der Liste stand der Name seines Bruders Joseph.
So kamen Joseph und Julie nach Italien. Zuerst nach Parma, dann als Botschafterehepaar nach Genua und schließlich nach Rom. Übrigens kamen sie nicht direkt aus Marseille, sondern aus Paris. Kaum war nämlich Napoleon Generalgouverneur von Paris geworden, so schrieb er an Joseph, dass es für ihn weitaus bessere Möglichkeiten in der Hauptstadt gäbe. Was immer auch geschieht, Napoleon verschafft seinem Bruder Joseph eine Stellung. Zuerst war es der bescheidene Posten eines Sekretärs im Marseiller Maison Commune. In Paris brachte er ihn nicht nur mit Barras und den anderen Politikern zusammen, sondern auch mit Armeelieferanten und jenen Neureichen, die an Häuserschiebungen reich geworden sind. Joseph begann gleichfalls Geschäfte zu machen. Er beteiligte sich am Kauf der konfiszierten Adelspaläste, die billig versteigert werden, und verkaufte sie um ein Vielfaches ihres Wertes weiter. Wir haben Wohnungsnot, da lassen sich diese Geschäfte leicht machen, erklärt Etienne. Innerhalb kurzer Zeit konnte Joseph für sich und Julie ein kleines Haus in der Rue du Rocher erwerben.
Als die Siegesnachrichten aus Italien eintrafen – Millesimo und Castiglione und Arcola und Rivoli –, wurde Joseph in Paris sofort ein sehr angesehener Mann. Schließlich war er der ältere Bruder jenes Bonaparte, den die ausländischen Zeitungen »Frankreichs starken Mann« und unsere eigenen Gazetten »den Befreier desitalienischen Volkes« nennen und dessen mageres Gesicht auf Kaffeetassen, Blumengläsern und Schnupftabakdosen in allen Schaufenstern zu sehen ist. Auf der einen Seite glänzt Napoleons Gesicht, auf der anderen die französische Fahne … Niemand wunderte sich, dass die Regierung sofort dem Wunsch ihres erfolgreichsten Generals nachkam und Joseph zum Botschafter ernannte. Joseph und Julie übersiedelten in ihren ersten italienischen Marmorpalast, und Julie war sehr
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