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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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sympathisch.« Wir schwiegen wieder. Der Wagen rollte durch den Regen. Wenn wir an einer Laterne vorbeikamen, schimmerte das Straßenpflaster in vielen Farben. Meine Augen brannten. Deshalb schloss ich sie und lehnte den Kopf zurück. »Ich habe an ihn geglaubt, wie ich noch nie an einen Menschen geglaubt habe«, hörte ich mich sagen. »Mehr als an Mama. Mehr als an – nein, ganz anders als an Papa. Ich kann deshalb nicht verstehen –«
    »Sie können vieles nicht verstehen, mein kleines Mädchen!« »Wir sollten in einigen Wochen Hochzeit halten. Und mit keinem Wort hat er erwähnt, dass –«
    »Er hätte Sie nie geheiratet, kleines Mädchen! Er ist längst verlobt. Mit einer reichen Seidenhändlerstochter in Marseille.« Ich zuckte zusammen. Seine Hand legte sich sofort wieder warm und schützend um meine Finger. »Das haben Sie auch nicht gewusst, nicht wahr? Die Tallien hat es mir heute Nachmittag erzählt. Unser kleiner General lässt eine große Mitgift im Stich, um die abgedankte Freundin von Barras zu heiraten, sagte die Tallien wörtlich. Bonapartes Bruder ist mit der Schwester dieser Marseiller Braut verheiratet. Jetzt ist dem Bonaparte eineabgetakelte Gräfin mit guten Beziehungen in Paris wichtiger als eine Mitgift in Marseille. Du siehst, mein Kleines – dich hätte er auf gar keinen Fall geheiratet.«
    Gleichmäßig und beinahe beruhigend kam seine Stimme aus dem Dunkel. Zuerst verstand ich nicht richtig, was er meinte. »Wovon sprechen Sie eigentlich?«, fragte ich und rieb mir mit der Linken über die Stirn, um klarer zu denken. Meine Rechte klammerte sich immerfort an seine große Hand. Sie war das einzige Stückchen Wärme in meinem Leben. »Mein armes Kleines – verzeih, dass ich dir so wehtue, aber es ist besser, dass du alles ganz deutlich siehst. Ich weiß genau, wie schlimm es ist, aber – es kann ja nicht schlimmer werden. Deshalb habe ich dir erzählt, was die Tallien gesagt hat. Zuerst war es ein reiches Bürgermädchen und jetzt eine Frau Gräfin, die gute Verbindungen hat, weil sie mit einem Direktor und vorher mit zwei Herren vom Armeeoberkommando geschlafen hat. Du dagegen hast keine Verbindungen und auch keine Mitgift, mein Kleines.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Das sieht man dir an«, sagte er. »Du bist nur ein kleines und sehr gutes Mädchen. Du weißt nicht, wie sich die großen Damen benehmen und wie es in ihren Salons zugeht. Und du hast auch kein Geld, sonst hättest du dem Lakai der Tallien eine Banknote zugeschoben, und er hätte dich hineingelassen. Ja, du bist ein anständiges kleines Ding und –« Er machte eine Pause. Plötzlich stieß er hervor: »Und ich möchte dich heiraten.« »Lassen Sie mich aussteigen! Sie haben keinen Grund, sich über mich lustig zu machen«, sagte ich, beugte mich vor und klopfte an die Scheibe. »Kutscher, sofort halten!« Der Wagen hielt. Aber der General schrie: »Sofort weiterfahren!« Der Wagen rollte wieder durch die Nacht. »Ich habe mich vielleicht nicht richtig ausgedrückt«, kam es zögernd aus demDunkel. »Sie müssen verzeihen, aber ich habe nie Gelegenheit, junge Mädchen wie Sie kennen zu lernen. Und – Mademoiselle Désirée, ich möchte Sie wirklich gern heiraten!«
    »Im Salon der Tallien wimmelt es von Damen, die eine Vorliebe für Generäle zu haben scheinen«, sagte ich. »Und ich habe keine.« »Sie glauben doch nicht, dass ich so eine Kokotte – Pardon – Mademoiselle, ich meine – so eine Dame heiraten würde?« Ich war zu müde, um zu antworten. Viel zu müde, um zu denken. Ich begriff nicht, was dieser Bernadotte, dieser Turm von einem Mann, eigentlich von mir wollte. Mein Leben war auf jeden Fall zu Ende. Trotz seines weiten Mantels war mir kalt, und meine Seidenschuhe klebten durchweicht und bleischwer an meinen Füßen.
    »Ohne Revolution wäre ich gar nicht General. Nicht einmal Offizier, Mademoiselle. Sie sind noch so jung, aber Sie haben vielleicht gehört, dass vor der Revolution kein Bürgerlicher mehr als Kapitän werden durfte. Mein Vater war Schreiber bei einem Advokaten und stammt aus einer Handwerkerfamilie, wir sind ganz einfache Leute, Mademoiselle. Ich habe mich hinaufgedient – mit fünfzehn bin ich in die Armee gekommen, und dann war ich sehr lange Unteroffizier, und erst nach und nach – ich bin jetzt Divisionsgeneral, Mademoiselle. Aber vielleicht bin ich Ihnen zu alt …?«
    Du glaubst an mich, was immer auch geschieht, hat Napoleon einmal zu mir gesagt. Eine große Dame mit großen

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