Désirée
Sie vorsichtshalber den rückwärtigen Ausgang!«, rief ihm General Duphot noch nach.
Wir aßen schweigend weiter. Noch bevor wir zum Kaffee kamen, hörten wir Pferdegetrappel. Man hatte also ein Bataillon Husaren geschickt, um den Platz zu räumen. Joseph stand sofort auf, und wir traten mit ihm auf den Balkon im ersten Stock. Der Platz unten glich einem Hexenkessel. Ein Meer von Köpfen wogte, Stimmengewirr brodelte, einzelne Schreie gellten. Die Abordnung des Stadtrates konnten wir gar nicht sehen, sie wurde von der aufgeregten Menge dicht gegen unser Portal gedrückt. Die beiden Wachtposten vor der Botschaft standen bewegungslos vor ihren Schilderhäuschen, und es sah aus, als würden sie jeden Augenblick zertrampelt werden. Joseph zog uns schnell vom Balkon zurück, und wir pressten dann die Gesichter an die Scheiben der hohen Fenster. Mein Schwager war leichenblass und kaute fortwährend an seiner Unterlippe, die Hand, mit der er sich aufgeregt durch die Haare fuhr, zitterte vor Wut. Die Husaren hatten den Platz umzingelt. Wie Statuen saßen sie auf ihren Pferden, Gewehr im Anschlag. Sie warteten auf einen Befehl. Aber ihr Kommandant konnte sich anscheinend nicht entschließen, diesen Befehl zu geben. »Ich gehe hinunter und werde versuchen, die Leute zur Vernunft zu bringen«, erklärte Duphot.
»General, Sie werden sich doch nicht dieser Gefahr aussetzen! Es ist ganz sinnlos, unsere Husaren werden schon –«, sagte Joseph beschwörend. Duphot zeigte wieder die weißen Zähne. »Ich bin Offizier, Exzellenz«, antwortete er, »und daher an Gefahren gewöhnt. Übrigens möchte ich überflüssiges Blutvergießen verhüten.«
Sporen klirrten, er ging zur Tür, drehte sich aber nochmals um und – suchte meinen Blick. Ich wandte mich schnell wieder dem Fenster zu. Also mir zuliebe nahm er das Bravourstückchen auf sich; um mir zu imponieren, stürzte er sich allein und unbewaffnet in die rasende Volksmenge. Es ist so sinnlos, dachte ich, Junot, Marmont, Duphot – was wollt ihr denn von mir? Im gleichen Augenblick öffnete sich unten das Portal. Wir machten das Fenster einen Spalt weit auf, um besser zu hören. Das Gebrüll unten nahm ab, wurde zu leise drohendem Gemurmel. Eine grelle Stimme schrie: »Abbasso …!« und noch einmal: »Abbasso …« Zuerst konnten wir Duphot nicht sehen, aber dann wich die Menge vom Portal zurück und machte ihm Platz. Er hob beschwörend die Hände, um sich Gehör zu verschaffen. Da fiel der Schuss. Und sofort nachher krachte die erste Salve der Husaren. Ich wandte mich um und stürzte die Treppe hinunter. Riss das Portal auf, die beiden Wachtposten hatten General Duphot aufgehoben und hielten ihn unter den Armen hoch. Aber seine Beine baumelten leblos, das Gesicht hing zur Seite, der Mund war verzerrt. Sein ewiges Lächeln war zu erstarrtem Grinsen geworden. Er war bewusstlos. Die beiden Posten zerrten ihn in die Vorhalle, die leblosen Beine schleppten über die Marmorfliesen, die Sporen klingelten. Dann sahen mich die beiden Soldaten ratlos an. »Hinauf –«, hörte ich mich sagen. »Wir müssen ihn oben irgendwo niederlegen!« Plötzlich waren wir von weißen, verstörten Gesichtern umringt. Joseph. Julie. Der dicke Botschaftsrat. Minette, Julies Kammerzofe. Die weißen Gesichter wichen zur Seite, und die beiden Soldaten trugen Duphot die Treppen hinauf. Unten auf dem Platz vor der Botschaft war es totenstill geworden. Zwei Salven hatten genügt. Ich öffnete die Tür zu Josephs Arbeitszimmer. Es lag der Treppe am nächsten. Die Soldaten legten Duphot auf einSofa, und ich schob einige Kissen unter seinen Kopf. Joseph stand neben mir und sagte: »Ich habe um einen Arzt geschickt. Vielleicht ist es nicht so schlimm.« Die dunkelblaue Uniform zeigte in der Magengegend einen feuchten Fleck. »Öffnen Sie ihm die Knöpfe, Joseph!«, sagte ich, und Josephs Finger machten sich fahrig und aufgeregt an den Goldknöpfen zu schaffen. Der Blutfleck auf dem weißen Hemd war hellrot. »Ein Magenschuss«, meinte Joseph. Ich sah dem General ins Gesicht. Er war sehr gelb geworden. Aus den weit geöffneten Lippen kam stoßweises Schluchzen. Zuerst dachte ich, dass er weinte. Dann wurde mir klar, dass er um Atem rang.
Der magere, kleine italienische Arzt, den man geholt hatte, war noch aufgeregter als Joseph. Es war eine große Chance für ihn, in die französische Botschaft gerufen zu werden. Er sei ein großer Bewunderer der französischen Republik und des Generals Napoleon Bonaparte, und
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