Désirée
unglücklich und schrieb verzweifelt, ob ich nicht zu ihr kommen könnte. Worauf mich Mama zu ihr reisen ließ. Und seitdem ziehe ich mit ihr und Joseph von einem Palast in den anderen und wohne in schauerlich hohen Räumen, deren Fußböden mit schwarzweiß gefärbten Fliesen belegt sind, und sitze in Säulenhöfen herum, in denen die verschiedensten Springbrunnen mit den seltsamsten Bronzefiguren, die aus allen möglichen und oft auch unmöglichen Öffnungen Wasserstrahlen hervorspritzen, aufgestellt sind. Unser gegenwärtiger Palast heißt Palazzo Corsini. Wir sind ständig von Sporenklirren und Säbelgerassel umgeben, denn Josephs Botschaftspersonal besteht natürlich aus lauter Offizieren. Morgen gibt Joseph den größten Ball, den die Botschaft bisher veranstaltet hat: Er will sich und Julie die dreihundertfünfzig vornehmsten Bürger von Rom vorstellen lassen. Seit einer Woche kann Julie nicht mehr ruhig schlafen, sie ist schon ganz blass und hat Schatten unter den Augen. Julie gehört nämlich zu jenen Frauen, die schon aufgeregt sind, wenn sie vier Gäste zum Mittagessen erwarten. Jetzt sind wir täglich mindestens fünfzehn Personen bei Tisch, und jeden Augenblick arrangiert Joseph einen Empfang für ein paar hundert Leute. Obwohl eine kleine Armee von Lakaien und Stubenmädchen um uns herumschwirrt, so fühlt sich Julie doch für den ganzen Zirkus verantwortlich und hängt mit Vorliebe schluchzend an meinem Hals undstöhnt, dass bestimmt wieder nichts »klappen« wird. Sie ist in dieser Beziehung erblich belastet und spricht wie Mama.
Duphot hat sich wieder bewegt. Ich habe schon gehofft, dass er das Bewusstsein wiedererlangen wird. Einen Augenblick lang sah er mich nämlich ganz klar an, aber dann brach der Blick in den halb offenen Augen, er kämpfte um Atem, spuckte Blut aus und sank tiefer in die Kissen. Jean Pierre Duphot, ich gäbe viel darum, wenn ich Ihnen helfen könnte! Aber ich kann ja nicht …
Trotz Schlachten und Siegen und Friedensverträgen und Staatsgründungen findet Napoleon Zeit, sich unausgesetzt um seine Familie zu kümmern. Kuriere aus Italien brachten von Anfang an Gold und Briefe an Madame Letitia in Marseille. Sie musste in eine bessere Wohnung übersiedeln und Jérôme, diesen Gassenjungen, in eine ordentliche Schule schicken. Caroline dagegen wurde nach Paris gebracht, und zwar in ein vornehmes Mädchenpensionat, in dem auch Hortense de Beauharnais, Napoleons Stieftochter, erzogen wird. Mein Gott, sind die Bonapartes fein geworden! Wie wütend war Napoleon, weil seine Mutter gestattete, dass Elisa einen gewissen Felix Bacciochi heiratete. Warum so plötzlich?, schrieb er ihr, und warum ausgerechnet diesen verbummelten Musikstudenten Bacciochi?
Elisa ist nämlich schon lange mit Bacciochi herumgezogen und hat stets gehofft, er werde sie heiraten. Nach den ersten Siegesmeldungen aus Italien hielt Bacciochi endlich um ihre Hand an und erhielt ein promptes Ja. Nach dieser Hochzeit bekam Napoleon Angst, dass auch Polette jemanden in die Familie bringen könnte, der ihm nicht passte. Deshalb hat er verlangt, dass Madame Letitia mit ihr zu ihm ins Hauptquartier nach Montebello auf Besuchkommen soll. Dort hat er sie blitzschnell mit einem General Leclerc, den keiner von uns kennt, verheiratet.
Unangenehm und ganz unverständlich ist die Tatsache, dass Napoleon mich über all die Weltgeschichte, die er da macht, nicht vergessen hat. Er scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben, irgendetwas an mir gutzumachen. Deshalb schickt er mir im Einverständnis mit Julie und Joseph einen Heiratskandidaten nach dem anderen. Der Erste war Junot, sein ehemaliger Personaladjutant aus den Marseiller Tagen. Junot – groß und blond und liebenswürdig – kam in Genua angestiegen, drängte mich in den Garten und schlug dort die Hacken zusammen. Er habe die Ehre, um meine Hand anzuhalten. Ich lehnte dankend ab. Es sei doch Befehl von Bonaparte, versicherte Junot treuherzig. Ich dachte an Napoleons Meinung über Junot: treu ergeben, aber ein Idiot! Ich schüttelte den Kopf, und Junot ritt ins Hauptquartier zurück. Der nächste Kandidat war Marmont, den ich gleichfalls bereits in Marseille kennen gelernt habe. Marmont fragte mich nicht offen, sondern in zarten Andeutungen. Ich erinnerte mich, was mir Napoleon einst über diesen Freund gesagt hat: intelligent, will mit mir zusammen Karriere machen! So – und jetzt will er eben die Schwägerin von Joseph Bonaparte heiraten, ging es mir durch den
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