Désirée
er beklage die Vorfälle in der Stadt, sagte er und stammelte etwas von verantwortungslosen Elementen, während er Duphots Hemd öffnete. Ich unterbrach ihn und fragte, ob er etwas brauche. Er sah mich ganz verdutzt an. Dann fiel ihm ein: »Etwas lauwarmes Wasser. Und vielleicht ein reines Tuch.« Er begann die Wunde auszuwaschen. Joseph war zum Fenster getreten, und Julie lehnte sich an die Wand und kämpfte gegen Übelkeit an.
Ich führte sie hinaus und sagte Joseph, er solle sich um Julie kümmern. Joseph war sichtlich erleichtert, das Zimmer verlassen zu können. »Eine Decke«, sagte der Arzt zu mir. »Haben Sie vielleicht eine Decke? Seine Glieder sind schon ganz kalt, er verblutet nämlich – innerlich, Mademoiselle, innerlich.« Wir breiteten eine Decke über Duphot. »Da ist leider nichts mehr zu machen, Mademoiselle. Wie furchtbar – ein so hoher Herr!« Seine Augen hefteten sich auf Duphots Goldschnüre. Dann steuerte er schnellauf die Tür zu, hinter der Joseph verschwunden war. Ich trat mit ihm ins Nebenzimmer. Joseph, Julie, der Botschaftsrat und einige Sekretäre saßen flüsternd um einen großen Tisch, und ein Lakai reichte Portwein zur Stärkung herum. Joseph sprang auf, bot dem Arzt ein Glas an, und ich konnte sehen, wie der Bonaparte-Charme den kleinen Italiener sofort in seligen Nebel einhüllte. Er stammelte: »O Exzellenz, der Bruder unseres großen Befreiers …«
Ich ging zu Duphot zurück. Zuerst konnte ich mich beschäftigen – ich holte Servietten und wischte den schmalen Blutfaden auf seinem Kinn ab. Aber ich gab es bald auf, da der Faden kaum abriss. Schließlich breitete ich die Servietten unter seinem Kinn aus. Dann suchte ich vergeblich, den gebrochenen Blick zu fangen. Zuletzt holte ich mein Buch und begann zu schreiben.
Ich glaube, viele Stunden sind vergangen, die Kerzen sind schon beinahe niedergebrannt. Aber aus dem Nebenzimmer dringt noch immer das sanfte Stimmengemurmel. Niemand geht schlafen, bevor –
Soeben ist er noch einmal zu sich gekommen. Ich hörte, dass er sich bewegte, und kniete neben ihm nieder und stützte seinen Kopf auf meinen Arm. Sein Blick glitt über mein Gesicht. Immer wieder. Er wusste sichtlich nicht, wo er war. »Sie sind in Rom, General Duphot«, sagte ich, »in Rom. Beim Botschafter Bonaparte.«
Er bewegte die Lippen und spuckte blutigen Schaum aus. Mit der freien Hand wischte ich seinen Mund ab. »Marie …« formte er. »Ich will zu Marie …«
»Wo ist Marie? Schnell – sagen Sie mir, wo ist Marie?«
Jetzt trafen seine Augen klar und bewusst mein Gesicht. Sie stellten eine Frage. Ich wiederholte deshalb: »Sie sind in Rom. Es waren Straßenunruhen. Sie sind verwundet worden. Ein Schuss in den Magen.« Er nickte unmerklich.Er verstand mich. Meine Gedanken jagten. Ihm konnte ich nicht helfen. Aber vielleicht ihr – vielleicht Marie. »Marie! Wie heißt Marie mit dem Zunamen? Und wo wohnt sie?«, flüsterte ich eindringlich. Sein Blick wurde ängstlich. »Nicht sagen –«, formte er, »nicht – dem – Bonaparte – sagen –«
»Aber wenn Sie lange krank bleiben, müssen wir doch Marie verständigen. Napoleon muss es ja nicht erfahren.« Ich lächelte vertraulich.
»Die – die Schwägerin, die – Eugénie heiraten«, brachte er hervor. »Bonaparte hat vorgeschlagen und –« Mehr konnte ich nicht verstehen. Dann wurde er wieder deutlicher: »Vernünftig sein, kleine Marie – werde immer sorgen – für dich und kleinen George – liebe, liebe Marie …« Sein Kopf glitt zur Seite, er spitzte die Lippen und versuchte, meinen Arm zu küssen. Er hielt mich für Marie. Er hatte Marie genau erklärt, warum er sie im Stich lassen wollte. Sie und den kleinen Sohn. Um mich zu heiraten, die Schwägerin eines Bonaparte, es würde eben Avancement bedeuten und ungeahnte Möglichkeiten …
Sein Kopf lag jetzt bleischwer auf meinem Arm. Ich hob ihn etwas höher. »Maries Adresse, ich werde ihr schreiben«, sagte ich und versuchte, seinen Blick wieder einzufangen. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde er wieder klar, »Marie Meunier – Rue de Lyon – sechsunddreißig – in Paris –« Seine Gesichtszüge waren scharf geworden, die Augen lagen in tiefen Höhlen, und sein Atem klang wie unterdrückter Schluckauf. Schweiß perlte aus seinen Haaren.
»Für Marie und den kleinen George wird immer gut gesorgt werden«, sagte ich. Er hörte nichts mehr. »Ich verspreche es«, wiederholte ich. Seine Augen wurden plötzlich weit, die Lippen verzogen
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