Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
Vom Netzwerk:
Bettpfosten irgendwie erhöht, um die Blutungen zum Stillstand zu bringen.
    Vom Wohnzimmer dringt Jean-Baptistes Stimme herauf.
    Lieber, lieber Jean-Baptiste.

[ Menü ]
    Sceaux bei Paris, eine Woche später.
    J etzt glaubt nicht einmal mehr die Riesin, meine pessimistische Hebamme nämlich, dass ich sterben werde. Ich liege auf viele Kissen gestützt, und Marie bringt mir alle meine Lieblingsspeisen, und morgens und abends sitzt der Kriegsminister von Frankreich an meinem Bett und hält mir lange Vorträge über Kindererziehung. Jean-Baptiste kam vor ungefähr zwei Monaten ganz überraschend zurück. Nach Neujahr hatte ich mich zusammengenommen und ihm wieder geschrieben, aber nur ganz kurze Briefe und gar nicht liebevoll, weil ich mich so schrecklich nach ihm sehnte und mich gleichzeitig über ihn ärgerte. Im »Moniteur« las ich, dass er Philippsburg mit dreihundert Mann eroberte – die Stadt wurde von tausendfünfhundert Soldaten verteidigt – und dann in einem Ort, der Germersheim heißt, sein Hauptquartier aufschlug. Von dort aus zog er nach Mannheim, eroberte die Stadt und wurde Gouverneur von Hessen. Er regierte die Deutschen dieses Gebietes nach den Gesetzen unserer Republik und verbot die Prügelstrafe und hob die Ghettos auf. Von den Universitäten Heidelberg und Gießen erhielt er begeisterte Dankesbriefe. Ich glaube, es gibt sehr seltsame Völker. Solange man ihre Städte nicht erobert, bilden sie sich aus unerforschlichen Gründen ein, weitaus tüchtiger und tapferer zu sein als alle anderen Menschen der Welt. Sobald man sie jedoch regelrecht geschlagen hat, beginnt bei ihnen ein Heulen und Zähneklappern, wie man es sich kaum vorstellen kann, und viele behaupten, schon seit jeher im Geheimen aufseiten ihrer Feinde gestanden zu haben.
    Dann bekam Jean-Baptiste Bescheid von Barras, nach Paris zurückzukehren, und überließ den Befehl über seine Armee dem General Masséna. Eines Nachmittags saß ichwie so oft am Klavier und übte das Mozartmenuett. Es ging jetzt schon ganz gut, nur an einer einzigen Stelle patzte ich regelmäßig. Da öffnete sich hinter mir die Tür. »Marie, das ist das Menuett, mit dem ich unseren General überraschen will. Klingt es nicht schon ganz ordentlich?«
    »Es klingt wundervoll, Désirée, und es ist eine ganz große Überraschung für euren General!«, sagte Jean-Baptiste und nahm mich in die Armee, und nach zwei Küssen war es so, als ob wir nie getrennt gewesen wären.
    Während ich den Tisch deckte, zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie ich ihm unseren künftigen Sohn ankündigen sollte. Aber dem Adlerblick meines Helden entgeht nichts, und Jean-Baptiste fragte unvermittelt: »Sag einmal, kleines Mädchen, warum hast du mir nicht geschrieben, dass wir einen Sohn erwarten?« (Auch er dachte keine Sekunde an die Möglichkeit einer Tochter.) Ich stützte die Arme in die Seiten, runzelte die Stirn und versuchte, sehr verärgert auszusehen: »Weil ich meinem Moralprediger keinen Kummer bereiten wollte! Du wärest ja ganz verzweifelt bei dem Gedanken gewesen, dass ich gezwungen sein könnte, die Vervollkommnung meiner Erziehung zu unterbrechen!« Dann trat ich auf ihn zu. »Aber sei beruhigt, du großer General, dein Sohn hat bereits unter dem Herzen seiner Mutter mit richtigem Anstandsunterricht bei Monsieur Montel begonnen!« Jean-Baptiste verbot mir, weitere Lektionen zu nehmen. Am liebsten hätte er mich überhaupt nicht mehr aus dem Haus gelassen, so besorgt war er um meine Gesundheit.
    Obwohl ganz Paris von nichts anderem als von einer innerpolitischen Krise sprach und Unruhen – sowohl vonseiten der Royalisten, die sich wieder stark bemerkbar machen und offen mit den geflüchteten Aristokraten korrespondieren, als auch von der äußersten Linken, den strengen Jakobinern – befürchtete, merkte ich wenigdavon. Die weißen Kerzen unseres Kastanienbaumes blühten, und ich saß unter den breiten Zweigen und säumte Windeln ein. Neben mir beugte sich Julie über ein Steckkissen, das sie für meinen Sohn nähte. Sie besuchte mich jeden Tag und hoffte, dass ich sie »anstecken« würde – so innig wünscht sie sich ein Kind! Und ihr ist es ganz egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, sie nimmt, was kommt, sagt sie. Aber bis jetzt kommt leider nichts … Nachmittags kamen auch oft Joseph und Lucien Bonaparte, und beide sprachen dann eifrig auf meinen Jean-Baptiste ein. Es scheint, dass ihm Barras einen Antrag machte, den Jean-Baptiste empört abgelehnt hat. Wir

Weitere Kostenlose Bücher